1. Juni
FRIEDERIKE BRUN Ich denke dein |
Ich denke dein, wenn sich im Blütenregen Der Frühling malt; Und wenn des Sommers mild gereifter Segen In Ähren strahlt. Ich denke dein, wenn sich das Weltmeer tönend Gen Himmel hebt, Und vor der Wogen Wut das Ufer stöhnend Zurückebebt. Dein denk' ich, wenn der junge Tag sich golden Der See enthebt, An neugebornen zarten Blumendolden Der Frühtau schwebt. Ich denke dein, wenn sich der Abend rötend Im Hain verliert, Und Philomelens Klage leise flötend Die Seele rührt. Dein denk' ich, wenn im bunten Blätterkranze Der Herbst uns grüsst; Dein, wenn, in seines Schneegewandes Glanze, Das Jahr sich schliesst. Am Hainquell, ach! im leichten Erlenschatten Winkt mir dein Bild! Schnell ist der Wald, schnell sind die Blumenmatten Mit Glanz erfüllt. Beim trüben Lampenschein, in bittern Leiden, Gedacht' ich dein! Die bange Seele flehte nah' am Scheiden: »Gedenke mein!« Ich denke dein, bis wehende Zypressen Mein Grab umziehn; Und selbst in Lethe's Strom soll unvergessen Dein Name blühn! |
4. Juni
RAINER SCHEDLINSKI im anfang fiel das fleisch vom fleische gerechte führen immer streit der beste held ist eine leiche mit allseitig geprägter persönlichkeit es war nicht leicht, die welt zu loben wo immer nur bahnhof verstanden war denn der überbau offen oben als wir in richtung heimat verschwanden? man musste seine stimme geben die hohen tiere adelt ekel ist es der mars, auf dem wir leben? dies deutschland ist ein menetekel |
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6. Juni
ARMIN SENSER Mit Wehmut und Liebe |
Zur Nacht gab’s wieder Griesbrei dazu wohl auch die süßen Zwetschgen oder war’s nur Zimt? Es ist jetzt einerlei. Jedenfalls hast du, gesenkt die Augen, still vor dich hingegessen, als wärst du immer – dein Leben lang? – allein am Tisch gesessen. Ohne uns, ohne Anhang! Vielleicht (hab dich nie gefragt) hast du diese Stille bei der Arbeit eingeübt. Schließlich sind Hitze, Lärm und Gestank starke Argumente fürs Schweigen. Vielleicht. Vielleicht war’s nur deine Schüchternheit. Oder was anderes. Schließlich hatte dein Schweigen kein Ende. Mittags hast du dich aufs Sofa gelegt, wie sich dein Vater auf die Liege in der Küche legte. Und gelesen. Worauf du eingenickt bist. Das war alles. Die Nacht kommt nach dem Tag. Waren das die stillen Siege? Abends bist du zu müde gewesen, zu angeheitert, um mehr als zu schmunzeln, wenn es zur Nacht wieder Apfelmus gab und Fotzelschnitten. Deine Augen leuchteten wie über uns die Sternenfunzeln und wurden dunkel, als ließe sich die Stille nicht zweimal bitten. |
7. Juni
NEIDHARDT Ûf dem berge und in dem tal |
Ûf dem berge und in dem tal hebt sich aber der vogele schal. hiure als ê gruonet klê. rûme ez, winter, dû tuost wê! Die boume, die dâ stuonden grîs, die habent alle ir niuwez rîs vogele vol. daz tuot wol. dâ von nimt der meie den zol. Ein altiu mit dem tôde vaht beide tac und ouch die naht. diu spranc sider als ein wider und stiez die jungen alle nider. |
8. Juni
KURT BARTSCH Adolf Hitler ganz allein Adolf Hitler, ganz allein Baute er die Autobahn. Keiner trug ihm einen Stein, Keiner rührte Mörtel an. Keiner half ihm, als den Krieg Er vom Zaum gebrochen. Dennoch dauerte der Krieg Fast dreihundert Wochen. Adolf Hitler ganz allein Hackte Holz, trug Kohlen, Heizte dann die Öfen ein In Auschwitz, fern in Polen. Keiner hat es kommen sehn, Jeder hielt sich ferne. Alle ließen es gcschehn, Aber, ach, nicht gerne. Adolf Hitler ganz allein Musste sich erschießen. Außer ihm hatte kein Schwein Einen Grund, zu büßen. |
9. Juni
WERNER BERGENGRUEN Die Lüge |
Wo ist das Volk, das dies schadlos an seiner Seele ertrüge? Jahre und Jahre war unsre tägliche Nahrung die Lüge. Festlich hoben sie an, bekränzten Maschinen und Pflüge, sprachen von Freiheit und Brot, und alles, alles war Lüge. Borgten von heldischer Vorzeit aufrauschende Adlerflüge, rühmten in Vätern sich selbst, und alles, alles war Lüge. Durch die Straßen marschierten die endlosen Fahnenzüge Glocken dröhnten dazu, und alles, alles war Lüge. Nicht nach totem Gesetz bemaßen sie Lobspruch und Rüge, Leben riefen sie an, und alles, alles war Lüge. Dürres sollte erblühn! Sie wussten sich keine Genüge in der Verheißung des Heils, und alles, alles war Lüge. Noch das Blut an den Händen, umflorten sie Aschenkrüge, sangen der Toten Ruhm, und alles, alles war Lüge. Lüge atmeten wir. Bis ins innerste Herzgefüge sickerte, Tropfen für Tropfen, der giftige Nebel der Lüge. Und wir schrieen zur Hölle, gewürgt, erstickt von der Lüge, dass im Strahl der Vernichtung die Wahrheit herniederschlüge. |
10. Juni
MARTIN PIEKAR Ich bin kein ElitePartner, wusstest du, Dass Ameisen Mikrowellenstrahlung sehen Und überleben. Wenn ich dich Zerstückelte und in die Mikrowelle steckte Würdest du es nicht ausnutzen Mir an die Wäsche zu gehen? Ich bin Derart prätentiös unelitär, dass ich gerne Saufe und Freunden dann sage, wie sehr Ich sie liebe. Ich streite gern, auch nüchtern. Ich will am Valentinstag zurückgelassen Dieses Gedicht schreiben und mich Ungeliebt fühlen. Ich baue nämlich nicht Auf die Zukunft. Ich trage schwarz und nur. Ich trage es ästhetisch und nur. Am besten Trägst du es auch und nur, weil es dir gefällt. Du sollst mir nicht gefallen, gefalle mir. Wenn du einen Mann vergewaltigtst, dann Ausdrücklich und lang, er könnte ein Potential Rapist sein. Besser ist es. Denn wenn wir Hobbys tauschen, hast du Mir am besten eins verschwiegen, behalts Für dich. Beziehungsstatus sollst du nicht Teilen, du sollst ihn leiden. Leide mit mir Einen. Verkupplung ist nur die Ausrede, Wenn man nicht mehr voneinander loskommt. Für Trotzficken hab ich keine Zeit übrig. Wer will schon Krötenlecken statt Der Partnerin. Und im Horoskop finde ich nur Weitere Gründe gegen Online-Dating. Wenn ich meine Ängste teile, möchte ich Das du dich mit mir fürchtest. Autophobie: die Angst alleine Auf sich selbst gestellt zu sein. Liebe ist eine. Die Wahrheit ist immer eine andere. |
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11. Juni
JULIUS WILHELM ZINCGREF Der Geliebten Flucht Sonett |
Ach, ach, was hab' ich nun erlebt für schwere Zeiten! Mir wird mein Muth und Sinn von Unmuth all verstört. Das Vaterland, das wird von Freund und Feind verheert, Indem mit seinem Volk Mars Alles macht zu Beuten. Mein' Liebste weicht von mir, ich kann sie nicht geleiten, Dagegen Amor sich nur näher zu mir kehrt; Es hilft mir nicht, wie sehr sich auch mein Herze wehrt, Kein Mensche kann ja zugleich mit zweien Gittern streiten. Nun, was der Krieg hinnimmt, es sei Gut oder Gold, Kann Alles mit der Zeit wiedrumb gewonnen wecken, Ihr'sgleichen aber kann ich finden nicht auf Erden. Vom Mars lch Alles gern geduldig leiden wollt', Wenn Amor wollte nur ihr, meines Lebens Leben, Ein Fünklein meiner Lieb' mit von ihr zum Geleite geben. |
12. Juni
HARTWIG MAURITZ |
HANS-GEORG KAISER So oder so
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| (Für Rumi) Ich bin mal gut, ich bin mal schlecht. Bin schwarz und weiß, so ist es recht. Die Sonne bin ich, Phoenixwind. Bin schon erwachsen und noch Kind. Ein Mann, der spinnt. Bin Dreck und Staub, ein Sack voll Mut. Bin sanft und heiter und voll Wut, mal glatt, mal Glut. Ich geh' im Glanz und wieder nicht. Bin wie aus Eis und sanft wie Licht, sagt mein Gesicht. Ich bin Kalender, Tag und Jahr. Lass Seelen blüh'n, mach' Wunder wahr. Bin Meise, Star. Chameleon bin ich, Wort für Wort, wechsle die Namen wie den Ort. Das ist mein Sport. Zum Fahnenschwenken nie bereit, pfeiff' ich auf Trommler jederzeit. Die Welt ist weit. Nur süße Früchte schmecken gut. Aus trüber Nacht schiesst heiß mein Blut, wie Aschenglut. Halb Mensch, halb Engel und halb Tier. häng' ich verzückt an uns'rem WIR. Vielleicht an dir. |
14. Juni
WILHELM HAUFF An die Freiheit Was mir so leise einst die Brust durchbebte, Als ich zuerst zum Jüngling war erwacht, Was sich so hold in meine Träume webte, Ein lieblich Bild aus mancher Frühlingsnacht; Und was am Morgen klar noch in mir lebte, Was dann, zur lichten Flamme angefacht, Mit kühner Ahnung meine Seele füllte – Es wären nur der Täuschung Luftgebilde? Was ich geschaut im großen Buch der Zeiten, Wenn ich der Völker Schicksal überlas, Was ich erkannt, wenn ich die Sternenweiten Der Schöpfung mit dem trunknen Auge maß, Was ich gefühlt bei meines Volkes Leiden, Wenn sinnend ich am stillen Hügel saß – Ich fühle es an meines Herzens Glühen, Es war kein Traumbild eitler Phantasien! Du, stille Nacht, und du, o meine Laute! Nur euch, ihr Trauten, hab ich es gesagt; Ertönt's noch einmal, was ich euch vertraute, Erzählt's dem Abendhauch, was ich geklagt, O sagt's ihm, was ich fühlte, was ich schaute, Und was mein ahnend Herz zu hoffen wagt: O Freiheit, Freiheit! dich hab ich gesungen, Und meiner Ahnung Lied hat dir geklungen! Die müde Sonne ist hinabgegangen, Der Abendschein am Horizont zerrinnt, Doch du, o Freiheit, spielst um meine Wangen, Stiegst du hernieder mit dem Abendwind? Nach dir, nach dir ringt heißer mein Verlangen, Ich fühl's, du schwebst um mich, so mild, so lind – O weile hier, wirf ab die Adlerflügel! Du schweigst? du meidest ewig Deutschlands Hügel? Wohl lange ist's, seit du so gerne wohntest Bei unsern Ahnen in dem düstern Hain; Dünkt dir, wie gern du auf den Bergen throntest Vom eis'gen Belt bis an den alten Rhein? Mit Eichenkränzen deine Söhne lohntest? Das schöne Land soll ganz vergessen sein? Noch denkst du sein; es wird dich wiedersehen, Wird auch dein Geist dann längst mein Grab umwehen. |
15. Juni
HENDRIK ROST Notiz an das Neugeborene |
Verzeih, wenn du kommst, wie es hier aussieht, leblose Information fliegt überall rum: Klimawandel, Endlager, Menschenjagden … Alles stapelt sich, Massakernachrichten, Tsunamis brechen durchs Wohnzimmer, Tumulte in Massen. Wir wissen genau, was uns einst stürzen lassen wird. Sei dabei. Es geht vorüber. Verzeih … |
16. Juni
MATTHIAS KOEPPEL
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