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Süddeutsche 30.12.2020:
Wo Satelliten ins Wasser stürzen
Der Himmel ist so leer wie das Meer, nur Albatrosse und Weltraumkapseln kommen hierher. "Wir sind den Astronauten näher als den Menschen auf der Erde", sagt der Hamburger Skipper Boris Herrmann. "Point Nemo", der "Pol der Unzugänglichkeit" - dieser Fleck Wasser im Südpazifik, den die Segler der Vendée Globe in diesen Tagen passieren, trägt viele Namen. 2.688 km entfernt von Land und menschlicher Zivilisation liegt die Zone, Amerikaner und Russen lassen hier ihre Satelliten und Raumstationen vom Himmel stürzen, weil es so wunderbar einsam ist. Kein schlechter Ort während einer globalen Gesundheitskrise. Doch die Weltumsegler sind sich so nahe wie selten.
Bis auf 700 km haben die schwachen Winde die besten zehn Boote zusammengeschoben, so eng war diese Regatta um die Welt noch nie. Am Freitagmorgen war Boris Herrmann sogar vorbeigezogen an dem französischen Seebären Jean Le Cam. Dritter auf halber Strecke, "davon hätte ich nie geträumt", jubelte der 39-jährige Hermann. Doch mittlerweile ist der erste Deutsche bei der Vendée Globe wieder zurückgefallen. Die Deutsch-Französin Isabelle Joschke setzt ihre verblüffende Fahrt fort und liegt auf Platz fünf.
33 Skipper sind am 8. November in Frankreich gestartet, sechs mussten schon aufgeben, denn die Ozeane sind unbarmherzig und die Regeln hart: Über 45 000 Kilometer müssen sie alleine, ohne Stopp und ohne fremde Hilfe bewältigen. Bei günstigen Bedingungen können die neuesten Schiffe übers Wasser fliegen, die Hälfte der Boote haben Tragflügel links und rechts des Rumpfes, soweit die Theorie. Aber meist blieben entweder die Winde aus, oder Stürme peitschten die Wellen zu haushohen Wänden; so konnten die Favoriten ihren Vorteil noch nicht ausspielen.
Gerade die Spitzenkräfte scheinen ihrem Tempo Tribut zollen zu müssen: Der Brite Alex Thomson, der das Feld durch den Atlantik anführte, musste früh aufgeben, nachdem er sein Boot mitten durch schwere Stürme brettern ließ. Der Franzose Kevin Escoffier verlor, auf Platz drei liegend, sein Schiff in den Wellen vor dem Kap der Guten Hoffnung, sein Konkurrent Jean Le Cam fand ihn erst nach zwölf Stunden auf einer Rettungsinsel im Wasser. Die Britin Samantha Davies schleppte sich nach Kapstadt, nachdem sie offenbar mit einem Wal kollidierte. Auch Nicolas Troussel (Mastbruch) und Sebastien Simon (Tragfläche und Ruder beschädigt) mussten ihre Segel streichen.
Meist schaffen es nur die Hälfte der Boote ins Ziel, das hat die Vergangenheit gezeigt. Auch deshalb ist Herrmann vorsichtig: "Ich will im Moment keinen groben Fehler machen", so lautet seine Strategie. "Bestimmt gibt es Verschleiß, den ich noch nicht sehen kann", glaubt Herrmann, aber im Moment könne das volle Potential seiner Seaexplorer ausgeschöpft werden.
Nach den Schwachwinden zuletzt schippert das Feld der Rekordfahrt vor vier Jahren hinterher, als es in 74 Tagen um die Welt ging. Die Ankunft ist diesmal für Ende Januar geplant. Allerdings hat Herrmann wie die meisten nur Proviant für 80 Tage an Bord. "Wenn immer etwas übrig bleibt, kann ich noch zehn weitere Tage durchkommen", rechnet er vor.
"Arg zu kämpfen" habe er mit der Einsamkeit, berichtete Herrmann vor Weihnachten in einer seiner wöchentlichen Videoschalten. Zum Fest hatte er eine Lichterkette aufgehängt und spielte die Sprachnachrichten seiner Familie ab, "das war wirklich schön", erzählt Herrmann in seinem Youtube-Tagebuch, "ich musste auch ein bisschen weinen".
Alleine auf hoher See wird der Kopf zur Echokammer, in der sich die Gefühle verstärken, weil man mit niemanden seine Erfahrungen teilen kann. Das beschäftigt auch Herrmann: "Ich muss immer noch lernen, alles mit mir selbst abzumachen." Senden auf allen Kanälen, das scheint sein Rezept zu sein gegen die Einsamkeit. Sogar eine Whatsapp-Gruppe hat er mit den anderen Seglern schon gegründet, in der er zuletzt einem Rivalen zuredete, bloß nicht aufzugeben. "Das bringt uns zusammen", sagt Herrmann.
Und so erlebt die Vendée Globe ein Rennen, in dem die Konkurrenten sich so verbunden sind wie selten und in dem die Außenseiter überraschen. Wie der zweifache Paralympics-Sieger Damien Seguin, der mit nur einer Hand sein scheinbar technisch unterlegenes Schiff steuert und den Anschluss an die Spitze hält. Oder sein Förderer Jean Le Cam, immerhin schon 61 Jahre alt. Der bretonische Skipper hat gerade einen Orden der französischen Ministerin für maritime Angelegenheiten bekommen für seine spektakuläre Rettungstat vor dem Kap der Guten Hoffnung. Er liefert sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Boris Herrmann.
Doch vor dem Feld liegt nun das Kap Hoorn, ein Felsmassiv, das wie der Schwanz eines Skorpions ins Wasser ragt. In gut einer Woche sollten die Führenden es erreichen. Wie gefährlich es hier ist, weiß Le Cam: Er selbst kämpfte in diesem Gebiet um sein Leben, als er mit seinem Schiff vor zwölf Jahren kenterte, bis ihn ein Konkurrent aus dem Wasser zog. Nach dem Kap Hoorn wartet wieder sicherere, wärmere See, glaubt Boris Herrmann. Er sagt: "Lasst uns diese kommenden sieben Tage bestehen."
© SZ Thomas Gröbner
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