Schriftsteller

Reich-Ranicki wörtlich in der 
Sendung vom 14.1.1993

siehe

Sebald - Sternheim - Karasek
Dreiecksgeschichte und Existentialismus

- nicht ernst gemeinte Polemik eines Unwissenden -



W. G. Sebald 1967 Carl Sternheim Hellmuth Karasek

Theoretische Philosophen (kennen Sie das Gegenteil?) betreiben die Dispziplin der Ontologie, wo es um die Grundstrukturen der Realität geht, was früher allgemeine Metaphysik hieß. Diese Philosophen diskutieren Entitäten, womit sie die strukturellen Beziehungen von Gegenständen, Eigenschaften und Prozessen diskutieren. Zwei berühmte aber weitgehend nicht zu verstehende Seins-theoretiker sind Heidegger und Sartre. Sartre unterscheidet zwischen dem menschlichen Sein, als einem Sein, das nicht ist, was es ist und das ist, was es nicht ist (für sich sein) und dem Sein, das ist, was es ist (an sich sein). Verstanden?
Heidegger: "Die Nichtung läßt sich nicht in Vernichtung und Verneinung aufrechnen. Das Nichts selbst nichtet." Verstanden? (siehe auch )

HeideggerSartre

Auf der Grundlage dieser existentiellen Psychoanlyse anlaysiert eine Masterarbeit das Werk Sebalds, im Titel mit der Behauptung, dass man es anders nicht verstehen könne...

Sartres existentialistische Anthropologie gründet auf dem Axiom, dass der Mensch mit seinem freien Willen imstande ist, sich jederzeit über seine Handlungen neu zu "entwerfen". Wir sind folglich das, wozu wir uns zu sein wählen. In unserer metaphysischen Obdachlosigkeit haben wir die volle uneingeschränkte Verantwortung für Leben und Taten. Sartre, der (wie Sigmund Freud) an die Macht frühkindlicher Prägung glaubt, leugnet aber das Unbewusste. Seine so genannte "Urwahl" als existenzielle Entscheidung bestimmt den späteren Lebensweg.
Auf dieser Grundlage fragt Distler: Welcher basalen Motivation entspringt Sebalds Wunsch und Entschluss, Schriftsteller zu werden? Zunächst analysiert er dessen literaturwissenschaftliches Œuvre als Germanist.
Sebald schrieb neben einer Fülle von Aufsätzen zwei Monografien: 1969 seine Diplomarbeit "Carl Sternheim. Kritiker und Opfer der wilhelminischen Ära" und 1980 die Dissertation "Der Mythus der Zerstörung im Werk Döblins"
Sebald, so Distler, habe in der Diplomarbeit Sternheims Persönlichkeit im Lichte der Freud'schen Psychoanalyse gedeutet und sein ambivalentes Verhältnis zum eigenen Schriftstellertum als Unaufrichtigkeit beziehungsweise mauvaise foi (Selbstlüge) entlarvt.
Verstehen wir nach Distlers Analyse Sebald besser?
Distler sieht Sebalds ursprüngliche "Wahl", Schriftsteller zu werden, nicht im Unbewussten wurzeln, sondern führt sie zurück auf "das unmögliche Bestreben, Eins zu sein bzw. An-und Für-sich, demnach 'Gott-gleich-' zu sein". In Sartres Terminologie übersetzt bedeutet dies, dass Sebald schreibend das unerreichbare An-sich des Für-sich anstrebte - ein Los, das gemäß dem französischen Existenzialisten der condition humaine schlechthin eignet. Verstanden?
"Nichts Neues unter Sonne" ist das Ergebnis.
Wo Distler aber die Analyse verlässt und kolportiert, verstehen wir Laien ihn auch, z.B. wenn er zu der berühmten Dreiecksgeschichte Sternheim-Karasek-Sebald, die ein profunder Sebald-Kenner in seinen Anmerkungen zu Sebalds Eigensinn (Akzente-Heft Nr. 6 von 2011) darlegt, seinen Senf dazugibt.

Uwe Schütte zu Karasek:

Auch unter der deutschen Kritikerkaste hat Sebald nicht nur Fans. Ein interessantes Exempel hinsichtlich seiner Erfahrungen mit der Literaturkritik liefert Hellmuth Karasek. Dieser hatte 1965 eine Einführung in das Werk von Sternheim veröffentlicht und ließ Sebald 1970 als Theaterredakteur der ZEIT auflaufen, indem er dessen Sternheim-Studie einem sowjetischen Germanisten zur Rezension überließ, der es gnadenlos hinrichtete und Sebald u.a. beschuldigte, ein Neo-Nazi zu sein. Als Jury-Mitglied beim Bachmann-Wettbewerb 1990 sprach Karasek sich konsequent gegen Sebald aus, der dort eine Geschichte aus Die Ausgewanderten vorgetragen hatte, um nur kurze Zeit später im Literarischen Quartett über dasselbe Werk zu äußern: »Ich habe ganz, ganz selten bei der Lektüre für das Literarische Quartett wirklich so innegehalten wie bei diesem Buch und gedacht, ich bin sehr dankbar, daß ich das lesen musste. Ich habe ein Stück bedeutende Literatur entdeckt.«
Dieser radikale Kurswechsel mag verschiedene Gründe haben, denen ich hier nicht nachgehen will; werten wir ihn mal als späte Einsicht, die insofern die Mehrheitsmeinung der deutschsprachigen Kritikergemeinde bestätigt, nämlich die einer unbestreitbaren Größe von Sebalds Werk.

Distlers Senf dazu

(Anm. 270):
"Valerij Poljudow (siehe unten ZEIT Nr. 33) erhält auf seine als Verriss zu bezeichnende Rezension der Sterheim-Arbeit umgehend eine im Duktus gleich scharfe Antwort Sebalds (siehe unten ZEIT Nr. 35). Sebald gibt sich in der Antwort als unbeirrbarer bzw. unfehlbarer Literaturwissenschaftler und -kritiker, der hier schon scharf mit seinen "dogmatischen" Zunftkollegen, aber auch später mit dem "schwarzwälder Trampel-Pfad-Schwätzer" Heidegger, wie er sinngemäss in einer Rezension einer Kafka-Monographie schreibt, ins Gericht geht.
(Anm 277):
Valerij Poljudow hat sehr wohl den dennoch in Frage stehenden und Sebalds Kritik in Zweifel ziehenden Punkt getroffen: "In Wirklichkeit hat der Kritiker auch dem Menschen Sternheim den Kopf gewaschen". Zu belegen wäre diese Behauptung, die Sebald in seiner Replik als "grausig idiomatischen Ausdruck" vehement zurückweist, am ehensten durch die pejorativ anklingende Interpretation, wonach die von Sternheim inszenierte "Vergewaltigung des Mannes durch die Frau eine überaus typische Projektion für einen oral abnorm Fixierten ist." Später ist dann von Sternheim ob eines "abnormal bedingten Bewußtseins" die Rede. Es ist wohl anzunehmen, dass nicht der grausig idiomatische Ausdruck es war, der Sebalds negative Vehemenz gegen Poljudow begründen kann, sondern vielmehr die persönliche Note gegen Sebald als "angehenden Gymnasiallehrer". Dies umso mehr, als Sebald sich darob selbst als "arme Seele" in Not sah, wie sein Bittbrief an Adorno es verdeutlicht. Der persönliche Stolz Sebalds scheint hier die polemische Spitze nicht vertragen zu können, so dass der Schritt zur Universitätslaufbahn hier durchaus ein trotziges Stimulans erhielt."







PS
Böse Gedanken eines unbefangenen Lesers: Stammt der Artikel wirklich von einem Doktoranden westlich des mittleren Urals oder ist etwa - Durchlaucht (Dr.) von und zu Guttenberg lassen grüßen - ein Ghostwriter (gar mit Karasek verwandt, verschwägert oder verdoubelt) am Werk gewesen?
Und - existiert diese Dissertation?

Hellmuth Karasek

So stellt sich ein Valerij Poljudow auf Facebook dar: