Kunst


Gustave Courbet:
Die Eiche des Vercingetorix

W. G. Sebald Die Ausgewanderten S. 7, 25, 37, 264, 268f.

Nach der an einer zweiten Staffelei angehefteten Vorlage zu schließen,
hatte Courbets mir immer besonders liebes Bild




Die Eiche des Vercingetorix

Ferber zum Ausgangspunkt für seine Zerstörungssstudie gedient.



Zerstöret das Letzte
die Erinnerung nicht

Zum Ausgangspunkt seiner vier langen Erzählungen von Ausgewanderten macht W. G. Sebald das Zwillingsbild der Eiche Courbets:
Die Fotografie eines weitausladenen Baumes, vor die Eröffnunszeilen gestellt, dessen Zweige die Grabsteine eines Friedhofs beschatten. Der Eiche Courbets fehlen die Gräber des Zwillingsbruders.
Die Zwillingsbilder erinnern an die zwei Gletscherszenen, in denen die vom Tod markierte Version dem Doppel vorhergeht, das den verstorbenen Bergführer (Großvater Edelkofer) in einem Pressefoto wiederbringt - oder die Erinnerung an ihren Verlust in einem Bild auslöscht.

Gustave Courbet: einer der Grossen im 19. Jahrhundert, ein schwieriger Künstler von enormer Resonanz, der provoziert und irritiert, dem vorherrschenden Geschmack widerspricht.
Politisch engagiert, dann wieder apolitisch, realistisch, doch ebenso träumerisch-intuitiv, ganz Augenmensch und gleichzeitig voller Rätsel und Symbolik, vulgär, aggressiv und verletzlich zugleich.
Immer wieder hält Courbet die heimatliche Natur in ihrer Urwüchsigkeit fest. Vielen Bilder ist eine Ebene gemeinsam, die in die Tiefe führt oder von einem Bergblock abgeriegelt wird. Courbets Freund, der Schriftsteller Max Buchon, besang die Felsen von Ornans als «unsere Zitadelle», interpretiert sie als Zeichen regionaler Selbständigkeit. Die Aufwertung der Provinz und der bürgerlich-bäurischen Landbevölkerung, ihre Gleichstellung mit den Pariser Bürgern, ist Courbets Ziel. Er bietet dem bonapartistischen Zentralismus die Stirn.

In den Ruinen erkannte man Sinnbilder der alten Unabhängigkeit der französischen Provinzen. Buchon und seine Gesinnungsgenossen visualisieren in diese Landschaftsbildern metaphorisch verschlüsselt den Widerstand gegen die Regierung und die Pariser «décadence». Einzelobjekte werden als Symbole von Rechten und Traditionen der Region politisch aufgeladen. So die «Eiche von Flagey, genannt die Eiche des Vercingetorix», die sich unter anderem gegen Napoleon III. als eine Reinkarnation Cäsars richtet.



Und in den Forellenbildern, die Géricault und Menzel in Erinnerung rufen, ist der Fisch Symbol für den zu Tode gejagten Menschen. Man wird an Courbets eigenes Schicksal erinnert ("In vinculis faciebat" - Courbet malte es gefesselt), muss er doch wegen seines Aufrufs zum Sturz der Vendôme-Säule ins Exil.








Gustave Courbet, Die Eiche des Vercingetorix
Le chêne de flagey (Le chêne de Vercingétorix)
1864 Öl auf Leinwand 1100 x 890 mm
Murauchi Art Museum, Tokio




Vercingetorix (ca. 82 - 46 v. Chr.): Fürst der gallisch-keltischen Arverner, einigt im siebten Jahr des Gallischen Krieges fast alle gallischen Völker zum letzten Versuch, ihre Unabhängigkeit gegen den römischen Eroberer Gaius Julius Caesar zu verteidigen.
Die Schlacht um Alesia (nahe dem heutigen Dijon) ist das Ende:
Die Nahrungsmittelknappheit veranlasst Vercingetorix, Frauen und Kinder aus seiner belagerten Festung auf die Römer zuzutreiben, die diese weder ernähren noch abziehen lassen. Da die Männer sie ebenfalls nicht wieder aufnehmen, sterben sie vor deren Augen den Hungertod.
Vercingetorix wird sechs Jahre eingekerkert, 46 v. Chr. in Caesars Triumphzug durch Rom geführt und im Anschluss daran erdrosselt.
Der Flügelhelm des Vercingetorix, auf Gauloise-Zigarettenpackungen und in Asterix-Comics, ist ahistorisch.
Nach 1871 wie nach 52 v. Chr. behalten die Gallier bzw. die Franzosen ihren Stolz und ihre Würde, auch wenn sie besiegt und einer der ihren – das vom Deutschen Reich annektierte Elsass-Lothringen – schmählich gefangengenommen und misshandelt wurde.
Die Worte auf dem Sockel der sieben Meter hohen Statue für Vercingetorix:

La Gaule unie
Formant une seule nation
Animée d’un même esprit
Peut défier l’Univers.


Das vereinigte Gallien,
das eine einheitliche Nation bildet,
die von demselben Geist beseelt ist,
kann der ganzen Welt trotzen