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52 Wochen

Woche 14

Bertolt Brechts Hauspostille Der Titel der Gedichtsammlung aus der Zeit von 1916 bis 1925 spielt parodistisch auf die gleichnamige Predigtsammlung Luthers an. Für 14 Gedichte (von insgesamt 50) fügt Brecht Noten bei, zuletzt 1956 ordnet er die Auswahl neu.

Anleitung zum Gebrauch
Erste Lektion: Bittgänge
Vom Brot und den Kindlein
Apfelböck oder die Lilie auf dem Feld



Von der Kindsmörderin Marie Farrar
Das Schiff
Gesang der Soldaten der Roten Armee
Liturgie vom Hauch
Prototyp eines Bösen
Morgendliche Rede an den Baum Green
Vom Francois Villon
Bericht vom Zeck

Zweite Lektion: Exerzitien
Vom Mitmensch
Orges Gesang
Über den Schnapsgenuß
Vorbildliche Bekehrung eines Branntweinhändlers
Historie vom verliebten Schwein Malchus
Von der Freundlichkeit der Welt
Ballade von den Selbsthelfern
Über die Anstrengung
Vom Klettern in Bäumen
Vom Schwimmen in Seen und Flüssen



Orges Antwort, als ihm ein geseifter Strick geschickt wurde
Ballade von den Geheimnissen jedweden Mannes
Lied am schwarzen Samstag in der elften Stunde der Nacht vor Ostern
Großer Dankchoral

Dritte Lektion: Chroniken
Ballade von den Abenteurern
Ballade von vielen Schiffen
Vom Tod im Wald
Das Lied von der Eisenbahntruppe von Fort Donald
Ballade von des Cortez Leuten
Ballade von den Seeräubern
Lied der drei Soldaten
Ballade von der Hanna Cash
Erinnerung an die Marie A., siehe

Ballade von Mazeppa
Ballade von der Freundschaft
Die Ballade von dem Soldaten

Vierte Lektion: Psalmen und Mahagonnygesänge
Mahagonnygesang Nr.1
Mahagonnygesang Nr.2
Mahagonnygesang Nr.3
Alabama Song, siehe
Benares Song

Fünfte Lektion: die kleinen Tagzeiten der Abgestorbenen
Choral vom Manne Baal
Von den verführten Mädchen
Vom ertrunkenen Mädchen
Ballade vom Liebestod
Legende vom toten Soldaten, siehe

Schlusskapitel

Gegen Verführung, siehe

Anhang:
Vom armen B.B.

Vom schlechten Gebiß, von den Sündern in der Hölle

Abends bekomme ich die Hauspostille wieder in die Hand. Hier erreicht die Literatur jenen Grad der Entmenschlichung, den Marx beim Proletariat sieht und zugleich die Ausweglosigkeit, die ihm Hoffnung einflößt. Der Großteil der Gedichte handelt von Untergang und die Poesie folgt der zugrundegehenden Gesellschaft auf den Grund. Die Schönheit etabliert sich auf Wracks, die Fetzen werden delikat. Das Erhabene wälzt sich im Staub, die Sinnlosigkeit wird als Befreierin begrüßt. Der Dichter solidarisiert nicht einmal mehr mit sich selbst. Risus mortis. Aber kraftlos ist das nicht.

Im Juni 1924 ist Brecht in Berlin zurück, um die Gedichtsammlung Hauspostille, die er Kiepenheuer seit bereits fast zwei Jahren schuldet, zu redigieren, schickt aber wiederum keinen fertigen Text, sondern hält den Verlag weiter hin. Zwar ist zu dieser Zeit die Rede davon, dass Marianne Brecht nach Berlin übersiedeln solle (Kiepenheuer hat schon eine Wohnung für sie gesucht) – Brecht hat aber bereits mit Helene Weigel ein Abkommen getroffen, dass er ihre Mansardenwohnung in Berlin übernehmen könne. Im September 1924 zieht er dann nach Berlin um.


Woche 15

Und der Haifisch, der hat Zähne
Und die trägt er im Gesicht
Und Macheath, der hat ein Messer
Doch das Messer sieht man nicht


Die Moritat von Mackie Messer

Das beliebte und wohl am meisten gecoverte Bänkellied aus der "Dreigroschenoper", vertont von Kurt Weill.
Brecht fügt das Eröffnungsstück, in dem ein Moritatensänger die Untaten des Gangsters Macheath, genannt Mackie Messer, aufzählt, erst kurz vor der Premiere 1928 in das Stück ein, weil Harald Paulsen, Darsteller des Mackie Messer, eine wirkungsvollere Exposition seiner Rolle wünschte. Geworden ist draus ein Welthit.

So hat die Moritat BertBrecht selbst gesungen:




Woche 16

Die Dreigroschenoper

1928 feiert Brecht mit seiner von Kurt Weill vertonten Dreigroschenoper einen der größten Theatererfolge der Weimarer Republik. Im selben Jahr lernt er Hanns Eisler kennen, der nun zum wichtigsten Komponisten seiner Stücke und Lieder wird. Aus der Bekanntschaft erwächst eine enge Freundschaft und eine der wichtigsten Dichter-Musiker-Partnerschaften des 20. Jahrhunderts.

Die Opernpersiflage basiert auf der "Beggar’s Opera" von Gay und Pepusch, uraufgeführt 1728 in London. Und genau 200 Jahre später kommt es zur Uraufführung der Dreigroschenoper in Berlin.

Sie kreist um den Konkurrenz- und Existenzkampf zwischen Peachum, dem Kopf der Londoner Bettelmafia, der Bettler erpresst und sie so ausstattet, dass sie das Mitleid der Passanten erregen, und Macheath, einem Verbrecher, der gute Beziehungen zum Polizeichef Brown hat. Das Stück ist im Stadtteil Soho angesiedelt, der von zwielichtigen Gestalten beherrscht wird.
Brecht entfernt sich im Laufe der Arbeit allerdings immer weiter von der Vorlage. Das Stück ist keine Oper im engeren Sinn, sondern ein politisch engagiertes Theaterstück mit 22 abgeschlossenen Gesangsnummern, die singende Schauspieler zu Gehör bringen.

Von März bis Mai 1928 erarbeiten Brecht und seine Mitarbeiterin Hauptmann gemeinsam eine erste Textfassung, einen großen Teil des Theaterstücks schreibt sie dann selbst, Brecht nennt oder würdigt Hauptmann aber später im Zuge der weltweiten Erfolgsgeschichte nie.
Die Gewinnbeteiligung sah so aus: Brecht 62,5 %, Weill 25 % und Hauptmann 12,5 %.
Die Tatsache, dass Brecht einige Lieder François Villons ohne Quellenangabe verwendet, veranlassen Alfred Kerr zu heftiger Kritik, der im Mai 1929 scharfe Vorwürfe gegen Brecht im Berliner Tageblatt erhebt. Brecht räumt seine „Laxheit in Fragen geistigen Eigentums“ ein und muss an Klammer (den Übersetzer Villons) eine nicht unbeträchtliche Summe zahlen. Klammer kauft einen Weingarten und und nennt den dort gekelterten Wein „Dreigroschenwein“. Für die Neuausgabe der Villon-Ausgabe schreibt Brecht ein Sonett, das mit den Worten endet: „Nehm jeder sich heraus, was er grad braucht! Ich selber hab mir was herausgenommen ...“

1929 spielen 19 deutsche Theater die Dreigroschenoper, wie auch Wien, Prag und Budapest. Sie ist das erfolgreichste deutsche Stück des 20. Jahrhunderts. Elias Canetti: „Es war eine raffinierte Aufführung, kalt berechnet. Es war der genaueste Ausdruck dieses Berlin. Die Leute jubelten sich zu, das waren sie selbst, und sie gefielen sich. Erst kam ihr Fressen, dann kam ihre Moral, besser hätte es keiner von ihnen sagen können. Das nahmen sie wörtlich.“

1933 verbieten die Nazis das Stück, das bis dahin in 18 Sprachen übersetzt und mehr als 10.000 Mal an europäischen Bühnen aufgeführt wurde. Die erste Wiederaufführung findet bereits im August 1945 in Berlin statt.

Hannah Arendt: „Das Stück hat das genaue Gegenteil von dem, was Brecht mit ihm gewollt hat, bewirkt – die Entlarvung bürgerlicher Heuchelei. Das einzige politische Ergebnis des Stückes ist, dass jedermann ermutigt wurde, die unbequeme Maske der Heuchelei fallen zu lassen und offen die Maßstäbe des Pöbels zu übernehmen.“




Woche 17

Das Lied von der Unzulänglichkeit des menschlichen Strebens

Der Mensch lebt durch den Kopf
der Kopf reicht ihm nicht aus
versuch es nur; von deinem Kopf
lebt höchstens eine Laus.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlau genug
niemals merkt er eben
allen Lug und Trug.

Ja; mach nur einen Plan
sei nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
gehn tun sie beide nicht.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht schlecht genug:
doch sein höh´res Streben
ist ein schöner Zug.

Ja; renn nur nach dem Glück
doch renne nicht zu sehr!
Denn alle rennen nach dem Glück
Das Glück rennt hinterher.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht anspruchslos genug
drum ist all sein Streben
nur ein Selbstbetrug.

Der Mensch ist gar nicht gut
drum hau ihn auf den Hut
hast du ihn auf den Hut gehaut
dann wird er vielleicht gut.
Denn für dieses Leben
ist der Mensch nicht gut genug
darum haut ihn eben
ruhig auf den Hut.

So singt es der Verfasser:





Woche 18

Solidaritätslied



Und so singts Hannes Wader

Brecht schreibt das Lied, vertont von Hanns Eisler, zwischen 1929 und 1931, vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise (1929), dem vergangenen Weltkrieg und der sozialen Frage für einen Film. Die zweite, abgebildete Fassung entsteht während des Spanienkriegs.



Woche 19

Der Flug der Lindberghs. Ein Radiolehrstück für Knaben und Mädchen

Charles Lindbergh (1902-1974) fliegt im Mai 1927 nonstop allein von New York nach Paris über den Atlantik und wird zu einer der bekanntesten Personen der Luftfahrt.

Brecht, Paul Hindemith und Elisabeth Hauptmann entwickeln für ein Kammermusik-Festival das Lehrstück "Der Lindberghflug", in dem der Flug über den Atlantik aus mehreren Blickwinkeln beschrieben wird. Zentrales Thema des Stücks ist die Konfrontation des Menschen mit der Natur. Durch die Entwicklung von Wirtschaft und Technik wird der Kampf gegen Unwissenheit und Ausbeutung möglich, was gleichzeitig auch religiöse Ideen überflüssig macht.
Direkt nach dem Festival wird das Stück noch einmal aufgezeichnet und von fast allen deutschen Sendern gesendet. Ausführende sind professionelle Musiker und Rundfunksprecher.
Im Juni 1930 veröffentlicht Brecht das Stück unter dem Titel Der Flug der Lindberghs. Ein Radiolehrstück für Knaben und Mädchen. Alle Rollen außer der des Fliegers erhalten den Hinweis „Radio“, womit Brecht die Vorstellung verbindet, dass alle Rollen durch das Radio übertragen werden könnten und der Zuhörer zu Hause die Rolle des Fliegers übernehmen könnte.
Die letzte Fassung 1950 heißt "Der Ozeanflug". Wegen Lindberghs Sympathien für den Nationalsozialismus tilgte Brecht seinen Namen aus Titel und Stück getilgt.





Woche 20



Jae Fleischhacker in Chikago

Auch dieses Stück entsteht 1924–1929 in Zusammenarbeit mit Elisabeth Hauptmann, bleibt aber Fragment. Thema: Weizenspekulationen an der Warenterminbörse in Chicago und deren soziale Auswirkungen.
Brechts Versuch, sich über die Vorgänge an der Weizenbörse zu informieren, scheitert. "Niemand, weder einige bekannte Wirtschaftsschriftsteller noch Geschäftsleute - einem Makler, der an der Chicagoer Börse sein Leben lang gearbeitet hatte, reiste ich von Berlin bis nach Wien nach -, niemand konnte mir die Vorgänge an der Weizenbörse hinreichend erklären. Ich gewann den Eindruck, daß diese Vorgänge schlechthin unerklärlich, das heißt von der Vernunft nicht erfaßbar, und das heißt wieder einfach unvernünftig waren. Die Art, wie das Getreide der Welt verteilt wurde, war schlechthin unbegreiflich. Von jedem Standpunkt aus außer demjenigen einer Handvoll Spekulanten war dieser Getreidemarkt ein einziger Sumpf. Das geplante Drama wurde nicht geschrieben, statt dessen begann ich Marx zu lesen, und da, jetzt erst, las ich Marx. Jetzt erst wurden meine eigenen zerstreuten praktischen Erfahrungen und Eindrücke richtig lebendig.“
Erst 1998 findet die Uraufführung des Stücks im Berliner Ensemble statt.

Wer sich über Weizenspekulation informieren will



Woche 21



Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Oper in drei Akten, Musik Kurt Weill, Uraufführung 9. März 1930 in Leipzig



Woche 22



Der Jasager

Kurt Weill, Elisabeth Hauptmann und Brecht entwickeln die „Schuloper“ für die Veranstaltung „Neue Musik Berlin“ 1930 auf der Basis eines japanischen No-Theater-Stücks aus dem 15. Jahrhundert. Zentrales Thema: Muss ein Mensch damit einverstanden sein, sich für eine Gemeinschaft zu opfern.
Ein Junge beteiligt sich trotz einiger Bedenken seines Lehrers an einer Expedition zu den ‚großen Ärzten‘ jenseits des Gebirges, um Medizin und Rat für seine kranke Mutter zu bekommen. Auf dem Weg wird der Junge krank und kann weder selber weitergehen noch getragen werden. Mit seinem „Einverständnis“ wird der Junge nach dem „Großen Brauch“ ins Tal und damit in den Tod gestürzt. Das Einverständnis des Jungen mit seiner Hinrichtung wird äußerst verschieden interpretiert: als Zeichen einer religiösen Überzeugung, als Opfer für eine Gemeinschaft, als Kadavergehorsam gegenüber sinnlosen Normen und Autoritäten, als Samurai-Tradition, aber auch als Aufforderung an das Publikum, diesem Einverständnis zu widersprechen. In einer zweiten Fassung hat Brecht dem Jasager nach einer Reihe von Diskussionen mit Schülern und Arbeitern einen „Neinsager“ zur Seite gestellt.



Woche 23

Radio Berlin strahlt das Stück 1932 in einer gekürzten Hörspielfassung erstmals aus. Brechts Versuche, eine Aufführung in Berlin oder Wien anzustoßen, scheitern zu Beginn des Jahres 1933 an der politischen Situation. Konservative und Nazis verhindern die geplante Inszenierung in Darmstadt.
Erst 1959, drei Jahre nach Brechts Tod, inszeniert Gustaf Gründgens die »Heilige Johanna«, indem er bis in Einzelheiten des Arrangements und der Requisiten die Form der großen klassischen Tragödie karikiert.

Aufführung Berlin 2013



Woche 24

Die Mutter. Leben der Revolutionärin Pelagea Wlassowa aus Twer

Am 31. Januar 1932 im Komödienhaus am Schiffbauerdamm mit Helene Weigel in der Hauptrolle uraufgeführt, handelt das Lehrstück von einer Frau zwischen Arbeitslosigkeit, Lohnkürzungen, politischer Agitation und Sachzwängen.
Brecht verfasst das Theaterstück nach dem gleichnamigen Roman von Maxim Gorki. Es stellt In 14 Szenen die Wandlung der unzufriedenen Arbeiterfrau zu einer entschiedenen Kommunistin dar, die sich immer mehr auf die Seite ihres revolutionären Sohnes stellt

Ab 1930 begannen die Nazis, Brecht-Aufführungen vehement zu stören. Zu Beginn des Jahres 1933 verbietet die Polizei eine Aufführung von "Die Maßnahme", man klagt die Veranstalter wegen Hochverrats an. Am 28. Februar – einen Tag nach dem Reichstagsbrand – verlässt Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtet ins Ausland.
Seine Exilstationen sind Prag, Wien, Zürich, Paris. Auf Einladung der Schriftstellerin Karin Michaëlis reist Helene Weigel mit den Kindern voraus nach Dänemark auf die kleine Insel Thurø bei Svendborg. Brecht steht auf der „Schwarzen Liste“; die Nazis verbrenenn seine Bücher am 10. Mai 1933, verbieten am Tag darauf seine gesamten Werke und erkennen ihm 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft ab.




In Paris richtet Brecht 1933 die Agentur DAD ein, den „Deutschen Autorendienst“, der emigrierten Schriftstellern, insbesondere seiner Geliebten Margarete Steffin (und Co-Autorin) Publikationsmöglichkeiten vermitteln soll.







Woche 25

An die Nachgeborenen

Der Text aus dem Zyklus der "Svendborger Gedichte" - entstanden zwischen 1934 und 1938 - ist einer der wichtigsten der deutschen Exilliteratur. Er ist der einzige aus Brechts Werk, zu dem eine Lesung durch den Autor selbst existiert.

Der Exildichter wendet sich hier gegen diejenigen, die die „Untaten“ des Nationalsozialismus verschweigen, indem sie den traditionellen Themen der Lyrik verhaftet bleiben, z. B. der Naturdichtung. Für Brecht ist „das arglose Wort töricht“ geworden; die Dichtung hat ihre Unschuld verloren und muss nach neuen, aktuellen Themen und nach einer neuen Sprache suchen, die ihrer Zeit angemessen ist und der Bedrohung durch Diktatur und Unterdrückung nicht ausweicht.
Mit „Zeit des Aufruhrs“ und „der Unordnung“ meint Brecht die Kämpfe gegen die Nazis in der Weimarer Republik. Die vier Strophen schließen mit dem Refrain: „So verging meine Zeit / Die auf Erden mir gegeben war“. Er beklagt, dass es nicht gelang, den aufkeimenden Nationalismus zu ersticken, um so den „Sumpf“ trockenzulegen.
Hinter dem „Wir“ verbergen sich die Exildichter, die sich gegen das „Unrecht“ empörten, aber es nicht verhindern konnten. Voller „Zorn“ konnten sie „selber nicht freundlich sein“. Dafür bittet Brecht um „Nachsicht“ und beschließt das Gedicht mit der Vision einer zukünftigen Welt, die bestimmt ist von Solidarität, Sozialismus und Frieden.





Woche 26

Der Schneider von Ulm
(Ulm 1592)




„Bischof, ich kann fliegen“,
Sagte der Schneider zum Bischof.
„Pass auf, wie ich’s mach’!“
Und er stieg mit so ‘nen Dingen,
Die aussahn wie Schwingen
Auf das große, große Kirchendach.

Der Bischof ging weiter.
„Das sind so lauter Lügen,
Der Mensch ist kein Vogel,
Es wird nie ein Mensch fliegen“,
Sagte der Bischof zum Schneider.

„Der Schneider ist verschieden“,
Sagten die Leute dem Bischof.
„Es war eine Hatz.
Seine Flügel sind zerspellet
Und er lag zerschellet
Auf dem harten, harten Kirchenplatz.“

„Die Glocken sollen läuten,
Es waren nichts als Lügen,
Der Mensch ist kein Vogel,
Es wird nie ein Mensch fliegen“,
Sagte der Bischof den Leuten.

Auch dieses 1934 entstandene Werk ist im Band "Svendborger Gedichte" veröffentlicht. Brecht datiert das historisch verbürgte Ereignis um den missglückten Flugversuch Berblingers auf das Jahr 1592 und weist dem sprichwörtlichen Schneider von Ulm als Antagonisten einen namentlich nichtgenannten Bischof zu. Im Gedicht endet der Flug tödlich.

1811 misslingt dem Schneidermeister der Flug mit selbstgebauten Schwingen von einem Gerüst aus, das gegenüberliegende Donauufer zu erreichen. Ursprünglich wollte er vom Münster der Stadt starten. Der Flugpionier stürzt ins Wasser und die Leute ächten ihn fortan als Hochstapler.





Fortsetzung