2005

Gedicht Erich Mühsam 'Der Revoluzzer'




Der Revoluzzer

Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

War einmal ein Revoluzzer,
Im Zivilstand Lampenputzer;
Ging im Revoluzzerschritt
Mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: "Ich revolüzze!"
Und die Revoluzzermütze
Schob er auf das linke Ohr,
Kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
Mitten in der Straßen Mitten,
Wo er sonsten unverdrutzt
Alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
Aus dem Straßenpflaster aus,
Zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
Schrie: "Ich bin der Lampenputzer
Dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn' das Licht ausdrehen,
Kann kein Bürger nichts mehr sehen,
Laßt die Lampen stehn, ich bitt!
Denn sonst spiel' ich nicht mehr mit!"

Doch die Revoluzzer lachten,
Und die Gaslaternen krachten,
Und der Lampenputzer schlich
Fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zuhaus geblieben
Und hat dort ein Buch geschrieben:
Nämlich, wie man revoluzzt
Und dabei doch Lampen putzt.


Erich Kurt Mühsam (1878 bis 1934), jüdischer Konfession, 1926 ausgetreten.
1896 wegen "sozialistischer Umtriebe" vom Gymnasium gewiesen. Apothekerlehre, ab 1901 freier Schriftsteller in Berlin; markantester und literarisch fruchtbarster Vertreter des deutschen Anarchismus, geprägt vom Autoritätshass und von tief empfundener Verbundenheit mit den sozial Benachteiligten.
Heftige Kritik am Reformismus und Legalismus in der SPD, Hoffnungen auf eine Revolte des Subproletariats.
1904/08 "Wanderjahre" in Zürich, Ascona (Monte Verità), Norditalien, München, Wien, Paris; ab 1909 München. Gründung der "Gruppe Tat" zwecks Agitation des Subproletariats für den Anarchismus; 1910 verhaftet und wegen Geheimbündelei angeklagt (Freispruch). Zentralfigur der Schwabinger Boheme, befreundet mit Heinrich Mann, Frank Wedekind, Lion Feuchtwanger und vielen anderen.
1918 führend an der revolutionären Massenerhebung in München beteiligt; radikaler Verfechter des Rätesystems; prägt als populäre Leitfigur den Verlauf der Revolutionsereignisse bis zur Bayerischen Räterepublik mit Reden, Aufrufen, Programmen. Verurteilt zu 15 Jahren Festungshaft, 1924 Amnestierung, Berlin. Mitarbeit in vielen linken und antifaschistischen Organisationen, wachsende Verbitterung über Spaltung und politische Ohnmacht der Linksparteien gegenüber dem Erstarken der Nazis.
1933 verhaftet, im KZ 14 Monate Folter und Mißhandlungen, 1934 ermordet.