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FYN 21



Rhine Valley

at dusk
northward
we go into
the bays
of darkness



Tess Jaray

Das Licht draußen hatte zusehends abgenommen, bis nur mehr eine fahle Helle das Stromtal erfüllte. Ich trat hinaus auf den Gang. Die wie mit einer Kaltnadel gezeichneten schiefer- und violettfarbenen Weinberge waren stellenweise mit türkisgrünen Netzen abgedeckt. Als nun ein allmählich eintretendes Schneetreiben diesen im Vorbeigleiten fortwährend sich verschiebenden, im wesentlichen aber unverändert bleibenden Prospekt mit einer feinen, fast waagrechten Schraffur überzog, war es mir auf einmal, als seien wir auf dem Weg hinauf in den hohen Norden, als näherten wir uns bereits der äußersten Spitze der Insel Hokkaido. Die Winterkönigin, von der ich insgeheim vermutete, daß sie diese Verwandlung der Rheinlandschaft bewirkt hatte, war gleichfalls auf den Gang herausgekommen und stand, das schöne Schauspiel betrachtend, bereits eine längere Weile neben mir, bis sie mit einem kaum wahrnehmbaren englischen Tonfall in der Stimme und, wie es mir schien, ganz für sich allein die folgenden Zeilen sagte:

     Rasen weiß verweht vom Schnee
     Schleier schwärzer als die Kräh'
     Handschuh weich wie Rosenblüten
     Masken das Gesicht zu hüten.

Daß ich darauf damals nicht zu erwidern wußte, nicht wußte, wie er weiterging, dieser Wintervers, daß ich, aller inneren Bewegung zum Trotz, nichts herausbrachte, dumm und stumm nur stehenblieb und weiter hinausschaute auf die nahezu vergangene Dämmerwelt, das hat mich seither schon oft sehr gereut und gedauert. Bald weitete das Rheintal sich aus, in der Ebene erschienen die glitzernden Wohntürme, und der Zug rollte hinein nach Bonn, wo die Winterkönigin, ohne daß ich noch etwas zu ihr hätte sagen können, ausgestiegen ist.

Schwindel.Gefühle S. 290f