An Stalins Stelle steht ein Metronom und schlägt dort den Takt zur Geschichte.
Die kinetische Skulptur 'Time Machine' - 25 m hoch und sieben Tonnen schwer - stammt von Karel Novák,
Professor an der Breslauer Akademie der Künste.
Der Fels, heute Basis des überdimensionalen Metronoms, lässt den
mäandernden Lauf der Moldau entstehen. Das Plateau hat
über Jahrhunderte strategische Bedeutung. Wer Letná, den Sommerberg einnahm,
hatte die ganze Stadt Prag in seiner Gewalt.
Als die Josefstadt, das jüdische Ghetto, Anfang des 20. Jahrhunderts modernen Jugendstilbauten weicht,
gelangt der Sommerberg zu neuer Bedeutung: der geplante Prachtboulevard wird verhindert,
das Letná-Plateau wird Freizeitareal der Prager mit Pferderennbahn, Sportplätzen, Kleingärten, Parks und
die großen Fußballvereine Sparta und Slavia haben lange Zeit hier ihre Stadien.
Dann kommt das Stalindenkmal, dann die Sprengung, dann der Prager Frühling, dann der Einmarsch der Truppen
des Warschauer Pakts, dann die Besatzung, endlich Normalisierung.
1989 blickt Václav Havel von hier auf nahezu 800.000 Menschen, die die Samtene Revolution feiern.
Seit 1991 tickt das Metronom.
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Dunkle Legenden ranken sich um das größte Denkmal eines kommunistischen Parteichefs und eines der größten
Verbrecher der Menschheit in Napoleonpose, das nicht ganz sieben Jahre, nämlich von 1955 bis 1962
auf dem Letná, dem Sommerberg steht:
1963 verunglückt der Fahrer des Lkws, der die Reste des in die Luft gejagten
Stalins durch Prag fährt, tödlich. Sein Schöpfer begeht kurz vor Enthüllung
des marmornen insgesamt kanpp 40m hohen grausamen und gnadenlosen Diktators Selbstmord.
Tausende Männer und Frauen arbeiten 6 Jahre rund um die Uhr,
um dies weltweit größte Denkmal zu Ehren Josef Stalins - es wiegt 17.000 Tonnen - zu erschaffen,
damit er jede Bewegung der Prager von dort oben überwachen kann. Seine Jackenknöpfe mit
Hammer und Sichel allein haben einen Durchmesser von einem halben Meter.
Der Prager Volksmund nennt die megalomanische Statuengruppe
"Die Schlange beim Metzger" ...
Der Mann, der für den Bildhauer als Stalin posiert, ein Elektriker
aus den Barrandov-Film-Studios, wird seinen Spitznamen "Stalin" nicht los,
beginnt zu trinken und stirbt nach drei Jahren.
800 kg Dynamit sind nötig, um Stalin in Stücke zu sprengen,
Zeugen wollen gesehen haben, wie das Haupt des Geköpften bei der ersten Explosion
in der Moldau versinkt.
1990 sendet aus dem Bunker unter dem Denkmal der Piratensender "Radio Stalin"
auf Englisch, Tschechisch oder Russisch.
"Zum Skaten ist das hier der beste Ort in ganz Europa", sagt Milan atemlos. Er wischt sich
eine blonde Strähne von der verschwitzten Stirn, stößt sich mit dem Fuß vom Granitboden ab
und gleitet auf eine Stufe zu. Einzelne Blöcke wurden aus dem einstigen Podest Stalins
herausgelöst und zu Hindernissen aufeinander gestapelt. "Das hier ist das einzig Gute,
was die Kommunisten für uns getan haben", grinst Jan und nippt von seinem Dosenbier.
Skateboarder, Jugendliche, Pärchen: Sie alle verabreden sich nicht auf dem Letná,
sondern "am Stalin".
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