Lobkowický palác Přehřovských
Palais Lobkowitz




Ludwig van Beethoven und Carl Maria von Weber geben hier Konzerte, 1989 besetzen fast 5.000 DDR-Bürger Palais und Gelände in der Vlašská (Wälsche Spitalgasse) Nr. 19 auf der Kleinseite.
Das bekannte Prager Barockpalais von 1707, bis 1927 Besitz der alten Adelsfamilie Lobkowicz, ist seit 1974 Sitz unserer Botschaft.












Mein erster Eindruck waren diese unglaublich verzweifelten Menschen, die bereit waren, alles hinter sich zu lassen.
Eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes (DRK) erinnert sich an den Moment, als sie die Botschaft am Abend des 30. September 1989 betritt. Außenminister Hans-Dietrich Genscher spricht zwei Stunden vorher auf dem Balkon des Palais Lobkowicz den historischen Satz:
"Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise ..."
Der Rest seiner Worte verliert sich im Jubel der fast 5.000 Flüchtlinge aus der DDR, die Bilder gehen um die Welt.
Bis 7h Uhr des nächsten Tags müssen die Ausreisewilligen in bereitgestellten Zügen sitzen, die sie ins bayerische Hof bringen - quer durch die DDR. Ein Gerücht geht um: Stasi-Mitarbeiter würden die Waggons von außen abschließen und mitfahren.
"Wir konnten die Menschen jedoch überzeugen, dass ihnen nichts geschehen würde. Noch heute bin ich erstaunt, wie viel Vertrauen sie dem DRK damals entgegenbrachten." Ängstlich, aber auch voller Hoffnung besteigen die Flüchtlinge die Busse zum Bahnhof - auf diesen Moment warten einige von ihnen fast acht Wochen.
Von 1984 bis 1989 reisen mehr als 2.000 Menschen über die Vertretungen der Bundesrepublik in den Westen aus. Für jeden Flüchtling, der seine Ausreise über die Botschaft erzwingt, zahlt die Bundesrepublik 10.000 DM auf ein geheimes Devisenkonto der DDR. Fünf Jahre lang gehört dieser Handel mit Botschaftsflüchtlingen zum politischen Tagesgeschäft deutsch-deutscher Beziehungen.
Doch im Sommer 1989 weigern sich die Botschaftsbesetzer, für einen Ausreiseantrag in die DDR zurückzukehren. Kontinuierlich sammeln sich immer mehr Flüchtlinge im Palais Lobkowicz. Ende September werden die Zustände unhaltbar.
Nach der Abreise kommt das Ausmaß der Verwüstung zum Vorschein. Die Menschen lassen auf der Flucht fast alles zurück: Autos, Gepäck, Wertgegenstände, Kinderwagen, Kleidung, Lebensmittel, Unmengen von Müll.
Alles muss komplett saniert werden ...



Niemand - außer die New York Times - nimmt Notiz davon, als am Tag der deutschen Währungsunion David Cerny, der 34jährige bekannte Prager Künstler
(von ihm stammen die Monsterbabys am Fernsehturm oder die pissenden Männer im Kafka-Museum oder Wenzel auf dem toten Gaul im Lucerna-Theater oder der Stinkefinger auf der Moldau ) sein Open-Air-Objekt Quo vadis in Plastik- bzw. Latexgestalt auf dem Altstädter Ring platziert, das bald darauf in Bronze im Garten der deutschen Botschaft enthüllt wird: ein Trabi auf vier massiven Elefantenbeinen. (Original heute in der Sammlung des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig).











Hermann Huber, damals Botschafter der Bundesrepublik,

muss bereits fünf Jahre früher Zufluchtsuchende aus der DDR versorgen. Einigen der ausreisewilligen Botschaftsbesetzer gelingt es, von der Bundesrepublik "freigekauft" zu werden. Der Großteil kehrt jedoch in die DDR zurück, nachdem die Behörden in Ostberlin ihnen Straffreiheit und Ausreisegenehmigung zusichern.

Im Sommer 1989 erreicht der Flüchtlingsansturm ein ganz neues Ausmaß. Zunehmend setzt sich eine "militante Haltung" durch, mit dem Ziel, der DDR-Führung Zugeständnisse abzuringen: "Die Flüchtlinge wollten unmittelbar in die Bundesrepublik ausreisen"

Es gibt Befürchtungen, Erich Honecker könnte im Rahmen des 40. Jahrestags der DDR im Herbst die Grenze zur Tschechoslowakei schließen. Täglich steigen mehr Ostdeutsche über den drei bis vier Meter hohen Zaun der westdeutschen Botschaft in Prag. Immer seltener werden sie dabei von den tschechoslowakischen Sicherheitskräften gehindert. Denn auch in der Tschechoslowakei löst Gorbatschows Perestroika politisches Tauwetter aus. Die Prager Führung verfällt in Orientierungslosigkeit, aus Moskau kommen keine klaren Anweisungen mehr.

Am 30. September befinden sich etwa 4.000 Flüchtlinge in der Botschaft. Regenfälle verwandeln den Garten der Vertretung in eine Schlammwüste. Im Dreck stehen Bundeswehr-Stockbetten und Zelte. Die Stimmung ist depressiv, fast wie nach einer Katastrophe. Als es dunkel wird, entsteht plötzlich Unruhe. Das Gerücht geht um, jemand Wichtiges sei gekommen.

Wovon die Flüchtlinge nichts wissen: Der durch einen Herzinfarkt geschwächte Außenminister Genscher hat in den Tagen zuvor während eines Verhandlungsmarathons in New York auf eine schnelle Lösung des Flüchtlingsproblems gedrängt. Dabei gewimmt er am Rande der UN-Vollversammlung die Unterstützung seines sowjetischen Amtskollegen Eduard Schewardnadse. Auch die USA, Großbritannien und Frankreich stellen sich in der Flüchtlingsfrage hinter Genscher. Während dieser eine Ausreise der Flüchtlinge ohne Umwege in die BRD fordert, pocht der damalige DDR-Außenminister Oskar Fischer auf eine vorübergehende Rückkehr der Ostdeutschen in die DDR, um die Souveränität seines Staates zu wahren.

Doch dann lässt sich Ostberlin überraschend auf einen Kompromiss ein: Die Flüchtlinge sollen in Sonderzügen über DDR-Territorium in den Westen reisen. Der Ständige Vertreter der DDR überbringt Genscher diese Nachricht nach dessen Rückkehr aus New York. Genscher fliegt in Absprache mit Kanzler Kohl nach Prag.




Hermann Huber - der stille Macher

Wie ist es, wenn in einem Drei-Familien-Haus plötzlich 5.000 Menschen leben? Eine solche Situation ist in den Dienstvorschriften eines Botschafters nicht vorgesehen.

Hermann Huber und Frau Jacqueline, Botschaftsmitarbeiter und viele Helfer meistern das, als es ab August 1989 täglich mehr Menschen wurden auf dem Gelände der Botschaft. Der Botschafter beschafft Schlafsäcke von der Bundeswehr, Zelte vom Roten Kreuz und Verpflegung, organisiert die Müllabfuhr. Seine Frau kauft Zuckertüten, damit es für die Schulanfänger eine Feier geben kann. "Die Flüchtlinge waren sehr diszipliniert. Sie haben die schwierigen Bedingungen respektiert, das hat sehr geholfen", lobt Hermann Huber. Der Botschafter der Bundesrepublik von 1988 bis 1992 gibt mit viel Einfallsreichtum den Menschen mit ungewisser Zukunft ein Stück Normalität und Wärme.

1930 ist der Diplomat in München geboren, sein Vater war 1952 bis 1966 Bürgermeister in Grafing. Als die Amerikaner in seiner Heimatstadt einmarschieren und den Zweiten Weltkrieg beenden, ist Huber ist 15, er besucht das Gymnasium in München und Traunstein. Nach dem Jurastudium tritt er 1955 in den diplomatischen Dienst ein. Zürich, Reykjavík, Rom, Kongo sind seine Stationen. 1968 bis 1970 beteiligt er sich am Aufbau der Deutschen Botschaft in Prag, nach Stationen in Mexiko und Moskau kehrt er 1988 nach Prag zurück.

Als Huber im August 1989 zum Urlaub Richtung Deutschland aufbricht, hält ihn der Grenzbeamte der tschechoslowakischen Republik kurz zurück und sagt: "Herr Botschafter, ich habe noch eine Nachricht, die ich nicht verstehe: Das Abflussrohr ist frei." Der Diplomat versteht die chiffrierte Nachricht: "keine Flüchtlinge aus der DDR auf dem Botschaftsgelände"

Huber ist stiller Protagonist der Kette von Ereignissen, die maßgeblich zum Fall der innerdeutschen Mauer beitragen. "Der diplomatischen Bereich hat mich immer mehr fasziniert als die Politik", sagt er heute mit Überzeugung. "Ich habe es spannender gefunden, einer Regierung zu dienen und sie zu vertreten - egal welche Zusammenstellung sie hat."

Fünf Jahre in Moskau härten ihn ab: Bis heute überlegt er sich beim Autofahren, was er sagt oder ob er unter einer Lampe etwas schreibt, "wir wussten ja, dass uns der KGB immer und überall abhört."

Am 17. August erreicht Huber im Urlaub der Anruf aus dem Auswärtigen Amt: Sofortige Rückkehr nach Prag, das Abflussrohr ist vollkommen verstopft. Der Botschafter wird zum Macher, Herbergsvater, Krisenmanager und Unterhändler - zwei Botschaftsangestellte verwandeln ein Zelt in eine provisorische Schule.

Huber wandert täglich über das Gelände, spricht mit den Flüchtlingen, spendet Trost, macht Mut. "Ich wollte, dass die Menschen das Gefühl haben: Wir kümmern uns." Das Überbringen der guten Nachricht auf dem Balkon der Botschaft bleibt dem Minister vorbehalten: "Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise..." Der Rest ist Jubel. Der Hausherr, der neben Genscher auf dem Balkon steht, schweigt. Ganz so, wie es seine Art ist.

Es gehört zum Selbstverständnis des Diplomaten, sich selbst nicht zu wichtig zu nehmen. "Die wahren Helden beim Fall des Eisernen Vorhangs sind nicht Diplomaten oder Politiker gewesen. Der Respekt gebührt den Menschen, die damals ihre Heimat verlassen haben, denen die Freiheit mehr bedeutet hat als ein sicherer Arbeitsplatz, und die ihren Kindern ersparen wollten, was sie selbst ertragen mussten. ...

Was für die Franzosen die Französische Revolution ist, könnten für uns die Freiheitsziele der Menschen im früheren Ostdeutschland sein. Das wäre doch ein schöner Mythos - und könnte auch unsere Rolle in Europa definieren."



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