![]() Frederick Farrar war mit viel zu großer Verspätung, wie er mir gegenüber einmal geäußert hat, 1906 in Lowestoft auf die Welt gekommen und dort auch, umsorgt und behütet von seinen drei schönen Schwestern Violet, Iris und Rose, aufgewachsen, bis man ihn, Anfang 1914 auf eine sogenannte Prep School in der Nähe von Flore in Northamptonshire schickte. Die schweren Trennungsschmerzen, die mich dort lange, vor allem vor dem Einschlafen und beim Aufräumen meiner Sachen überfielen, verwandelten sich in meiner Brust, so Frederick Farrar in seiner Reminiszenz, in eine Art von perversem Stolz, als wir eines Abends, gleich zu Beginn meines zweiten Schuljahres auf dem westlichen Vorplatz antreten und eine patriotische Rede unseres Headmasters über die Hintergründe und den höheren Sinn des während der Ferienzeit ausgebrochenen Krieges anhören mußten, nach deren Beendigung, sagte Frederick Farrar, ein mir bis auf den heutigen Tag unvergeßlich gebliebener Kinderkadett namens Francis Browne auf der Trompete einen Zapfenstreich blies. Zwischen 1924 und 1928 hatte Frederick Farrar auf Wunsch seines Vaters, der in Lowestoft Notar und lange Zeit auch Konsul für Dänemark und das Ottomanische Reich gewesen war, in Cambridge und London Rechtswissenschaft studiert und in der Folge, wie er gelegentlich mit einem gewissen Entsetzen sagte, mehr als ein halbes Jahrhundert in Anwaltskanzleien und Gerichtshöfen zugebracht. Da in England die Richter in aller Regel bis ins fortgeschrittene Alter hinein im Amt bleiben, war Frederick Farrar eben erst in den Ruhestand eingetreten, als er 1982 das Haus in unserer Nachbarschaft erwarb, um sich dort ganz der Zucht seltener Rosen und Veilchen zu widmen. Daß auch die Iris zu seinen besonderen Vorlieben zählte, brauche ich eigentlich kaum anzufügen. Der Garten, den Frederick Farrar um diese von ihm in Dutzenden von Variationen gehegten Blumen herum zusammen mit einem tagtäglich ihm zur Hand gehenden Gehilfen im Verlauf eines Jahrzehnts anlegte, gehörte zu den schönsten in der ganzen Gegend, und oft bin ich in der letzten Zeit, nachdem ein Schlag ihn gestreift hatte und er sehr gebrechlich geworden war, dort mit ihm gesessen und habe mir erzählen lassen von Lowestoft und von der Vergangenheit. In diesem Garten ist es dann auch gewesen, daß Frederick Farrar sein Ende fand, an einem wunderbaren Tag im Mai, als er es, während seines morgendlichen Rundgangs, irgendwie fertigbrachte, mit dem Feuerzeug, das er stets in seiner Tasche trug, seinen Schlafrock in Brand zu stecken. Der Gärtnergehilfe entdeckte ihn eine Stunde später, bewußtlos und mit schweren Verbrennungen am ganzen Leib, an einer kühlen Stelle im Halbschatten, wo die winzige, beinahe schwarzblättrige Viola Labradorica zu einer richtigen Kolonie sich ausgebreitet hatte. Frederick Farrar erlag seinen Verletzungen noch am selben Tag. Während des Begräbnisses auf dem kleinen Friedhof von ![]() Framingham Earl mußte ich an den Kindertrompeter Francis Browne denken, der im Sommer 1914 in die Nacht hineinblies auf einem Schulhof in Northamptonshire, und an den weißen Pier von Lowestoft, der damals so weit hinausreichte ins Meer. Frederick Farrar hatte mir erzählt, daß am Abend des Wohltätigkeitsballs die gewöhnliche Bevölkerung, die zu einer solchen Veranstaltung naturgemäß keinen Zugang hatte, in hundert und mehr Booten und Kähnen an die Spitze des Piers hinausruderte, um dort draußen von ihren sachte schwankenden und manchmal etwas abdriftenden Warten aus zuzusehen, wie sich die bessere Gesellschaft zu den Klängen des Orchesters im Kreise drehte und in einer Lichterwoge gleichsam schwebte über dem nachtdunklen, zu dieser frühherbstlichen Zeit meist schon von Nebelschwaden überzogenen Wasser. Blicke ich heute in jene Zeit zurück, hat Frederick Farrar einmal zu mir gesagt, so sehe ich alles wie hinter wehenden weißen Schleiern: die Stadt von der Seeseite her, die von grünen Bäumen und Buschen umgebenen, bis an die Ufer herabgehenden Villen, das Sommerlicht und den Strand, über den wir gerade von einem Ausflug nach Hause zurückkehren, der Vater mit ein, zwei anderen Herren mit aufgekrempelten Hosen voraus, die Mama allein mit dem Parasoleil, die Schwestern mit ihren gerafften Röcken und dahinter die Dienstboten mit dem Eselchen, zwischen dessen Tragkörben ich meinen Sitz hatte. Einmal, vor Jahren, sagte Frederick Farrar, hat mir von diesem Bild sogar geträumt, und unsere Familie ist mir vorgekommen wie einst der kleine Hof Jakobs des Zweiten in der Verbannung an der Küste von Den Haag. |