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MEUTEREI

Die Fregatte Storoschewoi, Lüa 123m, mit einer Besatzung von knapp 200 Mann, gehörte zur Baltischen Flotte der Sowjetischen Marine.
Im November 1975 bricht eine Meuterei aus, die Politoffizier Waleri Sablin anführt, nach dem Kapitän ranghöchster Offizier an Bord. Er schließt den Kapitän ein und prangert in einer Ansprache an die Besatzung das Abweichen der Kommunistischen Partei von Idealen Lenins an und stellt seinen Plan vor, das Schiff mit Freiwilligen zu übernehmen und von Riga nach Leningrad zu laufen.
Der 36jährige Kapitänleutnant Walerij Sablin galt als loyales Parteimitglied. Doch während der von ihm geleiteten Politschulungen an Bord gewann er ein Dutzend Offiziere und Unteroffiziere für einen aberwitzigen Plan: Er wollte das Schiff nach Leningrad bringen und dort über Funk und Fernsehen Mißstände im Sowjetreich anprangern und Reformen fordern. Um acht Uhr abends meldet Sablin dem Kapitän einen Notfall, lockte ihn so in den Bugraum und knallte die Luke zu. Doch etwas ging schief: Ein Fähnrich sprang über Bord, schwamm an Land und verriet die Meuterei. Verfolgt von neun Kriegsschiffen, versuchte Sablin nun, mit der Storoschewoi nach Schweden zu fliehen. Kurz vor Gotland legten Kampfflugzeuge einen Bombenteppich um die Fregatte. Sablin gab auf.
Kurz vor seiner Hinrichtung, rund zehn Jahre vor Beginn der Perestroika, schrieb Sablin seinen Eltern: "Ich bin überzeugt, daß das Feuer der Revolution in unserem Volk wieder entfacht wird."

Tom Clancy beschreibt im Bestseller The Hunt for Red October die Geschichte der Rebellionen an Bord auf dem sowjetischen Atom-U-Boot, dessen Kapitän mit seinen Offizieren zur NATO überlaufen möchte. Den erfolgreichen Film Jagd auf Roter Oktober nach dem Buch dreht 1990 John McTiernan mit Sean Connery in der Rolle von Käptn Marko Ramlus. Der 30 Mio US-Dollar teure Film spielt weltweit über 200 Millionen US-Dollar ein.

Von einer ähnlichen Story schreibt der Marine-Autor Leonhard Guttridge im Buch Meuterei. Rebellion an Bord.



Mit abgeschalteter Maschine dümpelte der Frachter Bärbel 90 sm westlich der dänischen Küste. Kein Mann an Bord. Doch in der Nähe treibt auf einer Rettungsinsel der 28jährige russische Matrose Andrej Lapin. Ein Kutter fischt ihn aus dem Meer.
Der Matrose trug 60 000 DM aus der Bordkasse bei sich. Auf Deck des Geisterschiffs sind Blutspuren. Aus Habgier, so folgert die Staatsanwaltschaft, habe Lapin den deutschen Kapitän samt Mannschaft umgebracht.
Der einzige Überlebende jedoch beteuert: Zwei andere Matrosen hätten den tyrannischen Kapitän im Streit erstochen; in Notwehr habe er, Lapin, dann die beiden Meuterer getötet. Der Mord an Bord, geschehen im Sommer 1993, ist noch immer ungeklärt. Mangels Beweisen wird der Matrose freigesprochen.

Bis heute ist Meuterei auf hoher See der Alptraum jedes Kommandanten. Trotz aller Fernmeldetechnik ist der Kommandant bei einer Rebellion heute ebenso einsam wie sein Vorgänger in der Epoche der Segelschiffe.

Da ist das »Schiff des Grauens«, die Hermione. Die britische Fregatte sollte Handelsschiffe schützen, die Kaffee, Baumwolle und Tabak aus der Karibik holten. Das Kommando hatte Hugh Pigot, einer der schlimmsten Leuteschinder der Seefahrtsgeschichte. Während eines Karibiksturms fegten heftige Regenböen über die Hermione. Pigot schickte seine Leute in die Masten, um die wild schlagenden Segel einzuholen. Er fluchte, alles ging ihm zu langsam. Wer als letzter wieder unten sei, drohte er, werde verprügelt. Hektisch kletterten die Matrosen hinab, drei von ihnen stürzten dabei in den Tod. Pigots Antwort: Er ließ die Überlebenden auspeitschen.
In der folgenden Nacht schlug der aufgestaute Hass, von Rum befeuert, in Gewalt um. Mit Messern, Säbeln und Beilen fielen zwei Dutzend Männer über den schlafenden Pigot her. Dann zerren sie die Offiziere an Deck, schlachten sie ab und werfen sie über Bord. Nach dem Gemetzel tanzten die Seeleute zur Musik einer Flöte.

Und die berühmte Meuterei auf der Bounty? Fletcher Christian war kein Held, sondern ein labiler, geistig gestörter Mann.
Als die Bounty 1787 in See sticht, war die Stimmung an Bord schon gespannt. Das Schiff hatte den Auftrag, Brotfruchtbäume von der Südseeinsel Tahiti in die Karibik zu schaffen; dort sollte die Frucht den Sklaven als billiges Nahrungsmittel dienen. Ein Botaniker baute zu diesem Zweck einen Teil der Kojen in ein Treibhaus um. Die Mannschaft lebte entsprechend beengt. Nach einem Jahr erreicht die Bounty endlich die Nordküste Tahitis. Doch es dauerte monatelang, bis die Pflanzen verkaufsfähig in Töpfen verwurzelt waren. Derweil vergnügte sich die Besatzung mit den hübschen und zärtlichen Südseefrauen. Die Disziplin litt, Männer desertierten, bei einem schlampig ausgeführten Verholmanöver lief das Schiff auf Grund. Auch nach der Abreise hörte der Schlendrian nicht auf. Wehmütig sehnten sich viele nach dem Inselparadies zurück. Pflichtmensch Bligh beschimpfte seine Offiziere als »Nichtsnutze«.
Seine Wutausbrüche trafen vor allem den 24jährigen Steuermannsmaat Fletcher Christian, den er zuvor wie einen Sohn gefördert hatte. Vermutlich infolge einer Syphilis litt Christian unter geistiger Verwirrung. Erst plante er, sich umzubringen - dann brachte er in einem spontanen Akt das Schiff in seine Gewalt. Zwei befreundete Schläger aus der Mannschaft halfen ihm dabei.
Die Matrosen waren mehrheitlich gegen den Aufstand. Doch die gedemütigten Offiziere machten fast alle mit. Die Meuterer setzten den Kapitän und seine Getreuen mit einem Beiboot aus. "Es ist unfassbar", fluchte Bligh, "diese halben Kinder haben mir die Bounty genommen." Die seemännische Leistung, die Bligh in den folgenden sechs Wochen vollbringt, ist unerreicht: Er navigierte seine Nussschale bis zur 3.600 sm entfernten Insel Timor.
Die Meuterer hingegen kehren nach Tahiti zurück, nehmen Frauen und Männer der Insel mit zur abgelegenen Südseeinsel Pitcairn. Doch in der multikulturellen Gemeinschaft herrschen bald Eifersucht und Haß - die Aussteiger bringen sich fast alle gegenseitig um.

Die meisten Meuterer des 18. Jahrhunderts verfolgten weniger romantische Ziele. Seeleute waren hart im Nehmen. Auspeitschen empfanden die wenigsten als besonders unmenschlich. Wer Proviant stahl, mußte gewärtig sein, die Krallen der neunschwänzigen Katze auf seinem Rücken zu spüren.
Viele Schiffsführer verhängten selbst bei nichtigen Anlässen drakonische Strafen. Manche waren üble Sadisten und dachten sich immer neue Quälereien aus, etwa das 'Pökeln': Nach dem Auspeitschen wurde Salz in die Wunden des Sünders gestreut.
Andere Gründe für Meutereien waren die miserable Verpflegung, zu seltener Landgang und vor allem die jämmerliche, oft unpünktlich ausgezahlte Heuer. In der britischen Marine beispielsweise wurde der Lohn über 100 Jahre lang nicht ein einziges Mal erhöht. Die Seeleute und ihre Familien hausten in extremer Armut. 1797 entlud sich der Unmut. Beeinflusst vom Geist der Französischen Revolution kam es in der britischen Kanalflotte zur ersten Massenmeuterei der Seefahrtsgeschichte - mitten im Krieg gegen Frankreich. Besatzungen von Linienschiffen schlossen sich an. Regierung und Parlament waren alarmiert, die Zeitungen warnten vor einer 'schwimmenden Republik'. Der König bot eine Amnestie an. Das reichte den Aufständischen nicht. Zähe Verhandlungen begannen. Am Ende hatten sich die Meuterer nicht nur bessere Bezahlung und Verpflegung erkämpft; sie setzten sogar durch, dass über hundert unbeliebte Offiziere die Schiffe verlassen mussten.
Schon immer waren die Soldaten auf See rebellischer als ihre Kameraden an Land. "Das Leben an Bord ist der ideale Nährboden für Psychosen, Gerüchte und Massensuggestionen", schreibt der französische Seefahrtsautor Charles Vidil. "Die vielen Ecken und Winkel an Bord eines Schiffes machen Diskussionen im Verborgenen leicht."



So kommt es auch im Herbst 1918 in Wilhelmshaven zur Meuterei. Am Ende des verlorenen Krieges hatten sich die deutschen Admirale heimlich zum 'Walkürenritt der Großkampfschiffe' entschlossen: An der Regierung vorbei wollten sie einen selbstmörderischen Schlagabtausch mit der britischen Flotte erzwingen. Der Untergang sei besser, so ein Admiral, als 'verschachert zu werden oder in Schande zu sterben'. Aber die Matrosen der Kriegsschiffe machen nicht mit. Sie verweigern den Dienst, zertrümmern die Ankerwinden. Wie eine Lawine breitet sich die Meuterei der Matrosen auf andere Hafenstädte aus und wird zum landesweiten Aufbegehren gegen Krieg und Kaiser. Wilhelm II. muss abdanken.



Den Aufstand gegen den Zaren hatten bereits im Sommer 1905 russische Matrosen gewagt, vergebens. Madiges Fleisch war für sie der Auslöser, die Befehlsgewalt auf dem Panzerkreuzer Potemkin zu übernehmen. Angeführt von dem 26jährigen Maschinisten Afanassij Matjuschenko, träumten die Meuterer davon, in Odessa eine unabhängige Regierung einzusetzen.
Statt dessen jagen sie die Kriegsschiffe des Zaren übers Schwarze Meer. Im rumänischen Hafen Konstanza versenken sie verzweifelt ihr Schiff und fliehen an Land. "Nur das Schwarze Meer war Zeuge unserer gebrochenen Herzen und unserer Tränen", erinnert sich Matjuschenko später. 1907 bereist er mit falschen Papieren Russland, wird verhaftet und gehenkt.


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