La Paloma, die Taube, flog auf, und sie flatterte über die Meere -
von weither übern großen Ozean...
Weil es ein Spanier war, Sebastian de Yradier, der die Melodie in Noten setzte -
kann sein, auch die Worte ersann -, hält es jedermann für ein Lied von der
Spanischen See, um die Welt verbreitet von sailenden Nachfahren des legendären
Kolumbus' und des Cortez' Leuten.
In Wahrheit kommt La Paloma - Die Weiße Taube erst viel später
in spanische Liedsammlungen als in Notendrucke und auf Notenständer anderer Länder.
Denn sie kommt auf großem Umweg in die Tavernen der iberischen Häfen.
Da klingt es freilich schon, hoch von Le Havre bis runter nach Marseille:
"Le jour où quittant la terre pour l'Ocean/...Une blanche colombe
vienne te voir", und in deutschen Häfen an der Ost- und Nordsee wie in den
damals österreichischen Ports an der Adria: "Mich rief es an Bord,
es wehte ein frischer Wind/ ... Fliegt eine weiße Taube zu dir hierher."
So oder so:
La Paloma wird, zeitlich genau an der Wende von stolzen Windjammern
zu dampffauchenden und dieselgetriebenen Motorschiffen, zwischen rauhen,
alten Shanties - gesungen beim Pumpen, Ankerhieven, Segelheißen - und
dem neueren, sanfteren Matrosensang, zur "Urmutter" vieler Generationen
von Seemannsliedern.
Die Weiße Taube hat das Zeug dazu: volkstümlich ihre Melodie
(weil sie ja womöglich ein Volkslied gewesen ist), wehmütig ihr Text, der
freilich die ursprünglich leichtflüglige Natur des Originals
stracks leugnet: Geschäft ist Geschäft.
"Alle gereimten Übersetzungen des Textes, die mir
zu Gesicht gekommen sind, sind völlig unbrauchbar."
"Die meisten Übersetzer sahen auch die Schwierigkeit, ich möchte sagen Unmöglichkeit, dieses
Gedicht zu übersetzen, ein; sie verließen gänzlich das Original und schufen irgend eine Banalität in
Versen", beklagt sich, 1911, Albert Friedenthal, dem wir es verdanken, von La Paloma, der als
augenzwinkerndes Liebeslied entstandenen Habanera, den authentischen Text
zu kennen - und:
erfreulich viel über ihre "Lebensgeschichte". Es mag sein, daß sie in Mexiko begonnen hat. Dann
freilich fern von Küsten und Meer - in Mexiko-Stadt.
Friedenthal, auf der Suche nach "Volksmusikstücken der Kreolen Amerikas", ist drei
mal zu den Küsten Mittel- und Südamerikas gesailt.
"Einen großen Teil dieser Stücke habe ich unmittelbar nach dem Gehör niedergeschrieben, andere habe
ich nach den Notierungen von Musikern, die die Musik ihres Volkes gut kannten, angefertigt, und eine Anzahl auch nach primitiven Drucken
bearbeitet", erzählt Friedenthal.
"Für Die Taube aber, das bekannte mexikanische Volkslied, das sich die ganze Welt erobert hat", bemüht er
sogar Diplomaten der Gesandtschaft:
"Dank den mühevollen Nachforschungen ... ist das mystische Dunkel, das den Ursprung und die Anfangsgeschichte dieses
Liedes umgab, in ergiebiger Weise durchleuchtet worden."
Seit Die Taube zum erstenmal aus Sängermund losflog, um bald als Gassenhauer durch Mexikos Straßen,
Salons und Kaschemmen zu schwirren, ist immerhin reichlich Zeit ins Land gegangen: wenigstens drei, vier Jahrzehnte. Ihren
sicheren "Geburtsort" vermag daher niemand mehr präzise zu lokalisieren; lediglich ihr "Geburtsjahr" haben Friedenthal und
andere vage "etwa um das Jahr 1863" datiert. An der "Wiege" Palomas stehen: Revolutionäre und Eroberer, Volkskämpfer
und Putschisten, Arme und Reiche, Bauernvolk in Lumpen und Adelszeug in Prachtgewändern, Generale, Präsidenten,
Volkssänger und Theaterstars, Minister und Admirale - und sogar: ein Kaiserpaar. In diese gemischte Gesellschaft fügt
sich der "spanische Volkskomponist", Sebastian de Yradier.
Yradier (geb. 1809 gest. 1885) meistert wie kein Zweiter
die Tango-Habanera und schreibt in ihr viele Melodien.
Yradier kommt im Jahre 1861 mit General Chacon von Spanien nach Cuba.
Ungewiß ist, ob er von hier auch das nahe Mexiko, das um die damalige Zeit
eine verführerische Anziehungskraft, besonders auf das Theatervolk ausübt,
besucht oder schrieb Yradier vielleicht doch schon auf Cuba La Paloma
für eine Theatertruppe? Und könnte nicht Zorilla, der Dichter, Yradiers
Texter sein? Während der damaligen Revolution bilden sich in allen Teilen
des Landes die verschiedensten Parteien, deren eine La Paloma als Parteilied singt.
Liebeslied, Volkslied, Parteilied, Seemannslied:
Metamorphose der
Weißen Taube.
Wie das "Ahoi", das kein echter Seemann über die Lippen bringen würde, sich
aus seiner Landheimat in die Seemannslieder schmuggelte, schlüpfte auch Die Taube,
maritim "aufgeputzt", - via Wien - in den neuen Liederschatz von Seefahrt und Meer.
Und sie ist, irgendwie makaber, mit einem erschossenen Erzherzog in die Stadt
"an der schönen blauen Donau" gekommen. Zumindest die Melodie, die ihren neuen
Text bald finden soll oder, als Lied österreichischer Landsoldaten und Mariner,
sogar schon gefunden hat - in Mexiko.
Dafür spricht eigentlich recht viel: Der Abschied "am grünen Hage"
von der Liebsten - und nicht im Hafen oder am Pier, wo ansonsten Seemannsbräute
ihren Janmaaten nachwinken und nachweinen. Ganz offensichtlich: Der das gedacht, geschrieben hat,
war kein Jantie, kein
Shellback von der See, der sein Leben den Sailships und Stürmen des Meeres
verschrieben hat -
jedoch:
er wußte wohl, wieviel Grund es gab, in "schwarzen
Gedanken" ums Leben zu bangen, als es galt, fern übers Meer in Kampf und Krieg
zu ziehn. Und schon drängt sich als nächstes die Frage auf: Nicht der deutsche,
sondern ein französischer Text vielleicht zuerst?
Denn: Interventionssoldaten und
-mariner des putscherfahrenen Dritten Napoleon, der die in Rußlands Weiten verwehten
Großreichträume seines Onkels seinerseits überm "großen Teich"
zu verwirklichen trachtete, sind "an Bord" gegangen, um das durch Nordamerikas
kriegerischen Landraub geschwächte Rest-Mexiko für die verbündeten
Kaiserhäuser an Seine und Donau zu annektieren.
Die Habsburger, die mit ihren
kronprinzlichen Erzherzögen - sofern sich diese ins politische Hasard
einmengten - wiederholt recht glücklos waren, haben mit Maximilian,
Bruder des backenbärtigen Kaisers Franz Joseph und Drei-Jahres-Kaiser
von Mexiko (1864 bis 1867), auch nicht das mindeste Glück. Maximilian,
der als Korvettenkapitän und Marineoberkommandierender auf See "befahren"
und als Aphorismen- wie Reiseskizzenschreiber durchaus einfallsfreudig ist,
setzt auf die "französische Karte" - und verliert. Verliert zuerst
den Hauptmitspieler, Napoleon III., der, gewarnt durch die Schläge der
mexikanischen Revolutionäre, heimlich die Karten anders mischt und
seine Expeditionsstreitmacht eilends aus Mexiko abzieht - und verliert
schließlich sein Leben: ruhmlos endend unter den Kugeln eines
Erschießungs-Peletons der Aufständischen.
"Kaisermord!" zetern Europas Höfe und Hofschreiber. Ins Buch der
revolutionären Geschichte Mexikos schrieben es die siegreichen Rebellen
richtiger und gerechter ein: "Volksurteil!"
"Übrigens besitzen die Angehörigen der kürzlich verstorbenen
Concha Mendez ein Bild des Kaiserpaares, das die Widmung trägt
"Der Sängerin der Paloma, Maximilian, Carlota"', weiß
Friedenthal in melancholischem Moll zu vermelden, und daß ihm "von
Zeitgenossen jener Epoche wiederholt geschildert" worden sei, Herrscher
und Herrscherin von eigenen Gnaden hätten eine "besondere Vorliebe
für dieses Lied" gehabt. Maximilian soll es sich, so rankt das jemand
als Legende um des Kaisers schnödes Ende, ..als besondere Gnade erbeten"
haben, "dieses Lied in den Stunden vor seinem Tode zu hören".
Selbst vor der geradezu blasphemischen Falschrede, "daß die Militärkapelle die Paloma spielte, als die Kugeln
den Kaiser und seine Getreuen niederstreckten", schreckte seinerzeit irgendwer nicht zurück.
Der in puncto Kreolen-Lieder verdienstvolle Albert Friedenthal kann indessen
nicht umhin, alldies ..doch mit einer Reihe von Fragezeichen zu versehen", zumal
er gewissenhaft recherchiert hat: ..Die damaligen Zeitungen bringen darüber
nichts; alte Militärs, unter ihnen ein General, der zur Wachmannschaft des
Klosters, in dem Maximilian gefangen saß, gehörte, erklären dem
Leiter des mexikanischen Staatsarchivs, daß diese Legenden jedes
glaubwürdigen Hintergrunds entbehrten und daß das Singen unter
den damaligen Verhältnissen eine Unmöglichkeit war." - Also: mit
La Paloma auf den Lippen oder im Ohr verschied der
Möchtegern-Kaiser mitnichten.
"Seine Leiche wurde durch den österreichischen
Admiral Tegethoff abgeholt", notiert das zeitgenössische Meyers
Konversations-Lexikon kurz und schlicht. Maximilians letzte Reise"
geht über See - tot den Weg retour, über den er gekommen und
ins Land eingefallen ist: Golf von Mexiko, Karibische See, Atlantik,
Mittelmeer, Adria.
Und, gewissermaßen als Todesschmuck auf seinem Sarg,
hat sichDie Weiße Taube niedergelassen, um so -
als blinder Passagier des Totenschiffes und mit dem schwimmenden
Rest der lädierten Expeditionsflotte - nach Europas Küsten zu gelangen.
Denn das weiß der Sammler, der an
La Palomas
weiterem Schicksal so ganz und gar schuldlos ist, genau:
"Durch das oesterreichische Gefolge des Kaisers, kam die Paloma
zuerst nach Wien und nahm von hier ihren Siegesflug über alle Länder
der Erde." Jegliche Einschränkung, es könnten womöglich einige
Länder fehlen, verriete den Ignoranten, und gefühlvoll wollen wir
einstimmen ("Der Vortragende beachte wohl: sehr langsam,
wärmster Ausdruck"), gleichgültig wieLa Paloma
auch beginnt:
"Mich rief es an Bord" ... oder "Ein Licht blinkt vom Mast" . . .
oder "Ein Wind weht von Süd" oder ...