Kein Rennen verlangt Seglern mehr ab: Es führt einmal um die Erde - solo,und ohne Pause. Nicht einmal 100 Menschen haben das geschafft.
Rund 8 Tonnen bringen die leichtesten Yachten in der Vendée Globe auf die Waage. Und trotz des immer noch beachtlichen Gewichts
können einige sogar fliegen: Am Rumpf angebrachte Tragflächen, sogenannte Hydrofoils, heben sie ab einer bestimmten Geschwindigkeit
über die Wasserobertläche. Das reduziert die Reibung und erhöht so das Tempo noch weiter. Die etwa 2m lange Steuerzentrale unter
Deck ist auf das Allerwesentlichste beschränkt: Elementarste Komfort wie eine Kochplatte oder Toilette wiegt zuviel: fehlt.
18m Loa, 29 Meter Masthöhe. Nach diesen Vorgaben der Bootsklasse Open 60 bauen die Techniker Rennfahrzeuge, die bis zu 33kn
schnell sind. Insgesamt stecken rund 30 Techniker 14.000 Arbeitsstunden und 5 Mill. € in die besten Yachten.
Der Rumpf besteht aus sechs absolut wasserdicht verschließbaren Kammern. Im Falle einer Kollision, etwa mit einem
Eisberg, halten sie das Boot auch im gekenterten Zustand an der Wasseroberfläche.
Normalerweise segeln 10 bis 15 Leute Yachten dieser Größe - die Skipper bei der Vendée Globe stehen 3 Monate unter
Dauersstress: Sie verbrauchen 7.000 Kalorien am Tag (= 14 Big Macs!).
Jules Verne muss es neu schreiben: Armel Le Cléac’h schafft es nicht in 80, sondern 74 Tagen!
Im Januar 2017 segelt er als erster über die Ziellinie in Les Sables D’Olonne.
In 74, 3 Stunden, 35 Minuten und 46 Sekunden segelte er einmal um die Welt. Es ist ein neuer Rekord, nie zuvor war jemand
schneller alleine die 27.000 Seemeilen gesegelt. 2012 hat die Regatta François Gabart in 78 Tagen gewonnen.
Das Rennen 2017 war bis zur letzten Wende nicht entschieden. 150 Meilen vor dem Ziel, kurz bevor die Segler in den Ärmelkanal
einfuhren, lagen Le Cléac’h und sein schärfster Konkurrent, der Engländer Alex Thomson, noch eng beisammen.
Thomson - oben auf seiner Yacht - 42, erzählt:
Ein heftiger Stromschalg an seinem Handgelenk reißt ihn aus dem Schlaf. Als er nach Wochen ununterbrochener Schwerstarbeit auf See
einmal fünf Stunden lang wegdüste, trägt er bei Solo-Rennen immer ein spezielles Elektroschock-Armband. Oder war es doch nur Einbildung?
Die Angst vor
dem Schmerz, die sein Gehim den Dämmerschlaf beenden lässt? Egal. Thomson hetzt zurück ans Steuer: Ein meterhoher Brecher empfängt
ihn mit einem Schwall kaltem Wasser, das sich über seinen Arbeitsplatz ergießt. Eisiger Wind vertreibt jeden Rest Müdigkeit. Sein Boot
rast durch die Roaring Forties nahe den Eisbergen der Antarktis. In diesem Moment ist er rund 4.000 Kilometer von der Zivilisation entfernt
- doch daran besser jetzt keinen Gedanken verschwenden. Lieber die Segel anpassen, die neuen per Satellit gefunkten Wetterdaten studieren
und den Kurs korrigieren...
Das hier ist Krieg. Höchstens 40 Minuten Schlaf am Stück, mehr darf sich der Kapitän, Steuermann, Chetingenieur, Navigator und
Koch der 7,5-Tonnen-Yacht in einer Person nicht gönnen. Alle zwei bis vier Stunden sinkt der Brite auf eine winzige Pritsche im Inneren des
18 m langen Karbon-Flumpfs: Das ist etwa so, wie in einem offenen Rennwagen bei Vollgas, Dunkelheit und strömendem Regen
einzuschlafen.
Abgesehen vom Autopiloten gleitet das Boot mit dem Namen des Sponsors "Hugo Boss" in dieser Zeit führerlos voran, für Thomson
ist aber ein anderes Problem entscheidend: Wenn ich schlafe, bin ich langsamer. Thomson ist einer von 29 Skippern, die sich
am 6. November 2016 in Les Sables d'Olonne in Frankreich auf den Weg rund um den Globus Erde gemacht haben. Ohne Motor.
Ohne Mannschaft. Ohne Pause. Alle vier Jahre startet die Vendée Globe, die härteste Regatta der Welt. Nur die Besten gehen auf diese Reise,
trotzdem kommt nur jeder Zweite ins Ziel - nicht einmal 100 Menschen ist der Non-Stop-Törn um die Welt bislang gelungen. Weit weniger,
als es etwa auf den Mount Everest oder ins Weltall geschafft haben.
Egal wie groß dein Boot ist, hier draußen auf dem Ozean wird dir klar, wie klein wir Menschen sind.
Die beiden Sieger jagen sich in einem atemberaubenden Duell um die Welt. Erst am Mittwochabend, als nach der abschließenden
Wende der Wind wieder Wind von Backbord kommt, muss sich Thomson endgültig geschlagen geben. Wegen des fehlenden
Steuerbord-Foils - schon zu Beginn des Rennen bei einer Kollision abgebrochen - und wegen gravierender Probleme mit dem Autopiloten,
kann der Engländer keinen Druck mehr aufbauen.
Als Le Cléac’h die Ziellinie überquert, liegt Thomson 100 Meilen zurück, am Donnerstagmorgen fährt er in den Hafen ein.
Thomson schenkt der Segelwelt einen neuen Rekord: 536,81 sm in 24 Stunden.
Der Segel-Thriller zeichnete sich schon während der Pazifik-Passage ab. Dort hatte Thomson keine taktischen Optionen,
denn für ihn waren die Bedingungen im Südpazifik wegen des fehlenden Foils deutlich schwieriger als für Le Cléac’h.
Der Vorsprung von Le Cléac’h wuchs auf fast 800 Seemeilen. Es schien das Ende aller Siegträume zu sein, bislang konnte noch
nie jemand 800 Meilen aufholen.
Doch seit dem Kap Hoorn an der Südspitze von Südamerika war der Franzose der Gejagte. Segelexperten gerieten über ihre Prognosen
ein weiteres Mal ins Grübeln, weil der Vorsprung in wenigen Tagen auf 73 Meilen geschrumpft war. Fortan duellierten
sich die beiden Führenden gnadenlos. Am Kap Hoorn feiert Thomson sein Combeack, als er bei 30 Knoten Wind
von der Backbordseite mit einem seiner verbliebenen Foiler wieder in Schlagdistanz kam.
Doch der Meilenverlust für den Franzosen verstärkte sich dramatisch. Für eine kurze Zeit trennten die Kontrahenten nur noch 28 Meilen.
Das schwarze Boot von Thomson war phasenweise doppelt so schnell als das blaue des Franzosen. Es sah so aus, als würde
sich das britisch-französische Duell spätestens zum Jahreswechsel endgültig entscheiden. Die Segelwelt erwartete noch vor den Doldrums,
dem windschwachen Gebiet am Äquator, ein Überholmanöver Thomsons, das das Rennen entschieden hätte.
Hinter den beiden segelte auf dem dritten Rang Jérémie Beyou mit einem Rückstand von 800 Meilen. Auch
er lag am Kap Hoorn mit 51 Tagen auf See auch noch unter dem Rekord von 2012. Die verbliebenen 17 Segler
hatten schon 5.000 Meilen Abstand. Gestartet waren 29.
Das Finale naht. Die Wetterbedingungen im Nordatlantik sind auch für Meteorologen ungewöhnlich kompliziert zu beurteilen.
Thomson schöpft Hoffnung. Le Cléac’h dümpelt länger in den Doldrums, Thomsons kommt im Kielwasser des Franzosen schneller
voran und kann seinen Rückstand erneut auf 68 Meilen verkürzen. Kaum jemand hat diesen Verlauf für möglich gehalten.
Windlöcher, Böen und Flauten begleiteten das Duo bis kurz vor das Ziel.
Ein Hochdruckgebiet verhindert den direkten Kurs nach Les Sables d’Olonne.
Thomson verkürzt vor der abschließenden Wende die Distanz noch einmal auf 40 Meilen. Und das im Seegebiet, das
der Bretone Le Cléac’h als sein Wohnzimmer bezeichnet.
Aber als Thomson am Eingang des Kanals die Notwendigkeit einer Wende kommen sieht, ist seine Hoffnung auf einen Sieg endgültig
vorbei.
Le Cléac’h: "Für mich wird damit ein Traum wahr. Ich wollte dieses Rennen schon vor 12 Jahren gewinnen. Heute ist ein perfekter Tag!"
Seinen Platz unter den besten Segler dieser Erde hat er damit eingenommen.
Jules Verne muss sein Buch neu schreiben ...
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