Drei Schüsse - blutüberströmt liegt ein Mann auf dem Trottoir des Kurfürstendamms vor dem Domizil des SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund). Der Attentäter: ein 23 Jahre alter Neo-Nazi namens Josef Bachmann, in dessen Zimmer ein selbstgemaltes Porträt von Adolf Hitler hängt. Er ruft: "Du dreckiges Kommunistenschwein" bevor er abdrückt. Das Opfer:
Rudi Dutschke.
![]()
Die bleiche Stirn vom nachtschwarzen Schopf überflattert, das Kinn von Stoppeln verschattet, die dunklen Augen
unter buschigen Brauen ekstatisch entflammt. Den tief in die hageren Wangen eingekerbten Mund aufgerissen
zu angestrengter Artikulation" (SPIEGEL)
![]()
Am Tag des Attentats demonstrieren Studenten in Hamburg. Sie machen die Bild-Zeitung für die Schüsse auf Dutschke
mitverantwortlich. "Stoppt den Terror der Jung-Roten jetzt!" hat die Zeitung geschrieben. Und dass man "auch nicht die
ganze Drecksarbeit der Polizei und ihren Wasserwerfern überlassen" sollte. Ganz ähnlich titelt die rechtsextreme
"Deutsche National-Zeitung": "Stoppt Dutschke jetzt! Sonst gibt es Bürgerkrieg" - beim Attentat trägt Bachmann diesen
Ausschnitt nebst Dutschke-Fotos bei sich.
![]() 1977: Rudi Dutschke spricht mit Besuchern der documenta 6 in Kassel. Dutschke will die Aktivitäten der APO in einer ökosozialistischen Partei bündeln und absolviert ab Mitte 1979 zusammen mit Künstler Joseph Beuys gemeinsame Wahlkampfauftritte für Vorläufer der Grünen, die als Bundespartei Januar 1980 gegründet wird - drei Wochen nach Dutschkes Tod. |
Biografie
![]()
Rudi Dutschke, als vierter Sohn eines Postbeamten 1940 geboren, wächst in der DDR auf, ist in der evangelischen
Jungen Gemeinde von Luckenwalde aktiv. Als Leistungssportler (Zehnkampf) will er Sportreporter werden und um seine Chancen für die entsprechende Ausbildung zu erhöhen, tritt er 1956 in die FDJ ein.
Er verweigert den Wehrdienst in der NVA, ruft andere auf, es ihm gleichzutun.
![]() 1968 Vilshofen: Der Abschaum sind Deutschlands rebellische Studenten - allen voran die "ungewaschene, verdreckte und verlauste Kreatur Dutschke". So spricht CSU-Metzger Franz Xaver Unertl, und empfiehlt, den roten Rudi mitsamt den anderen "Lackln und Rotzlöffeln abzuwatschn", aus den Universitäten "hinauszuschmeißn". Bedächtig nicken ihm zu Füßen bayrische Bauern, während der Redner die "Scheißhausparolen" der "Zersetzungsapostel im Rundfunk" geißelt. ![]()
1968 Vietnamkongress an der Berliner TU, Abschlussdemonstration mit über
12.000 Menschen. Dutschke ruft zur massenhaften Desertion US-amerikanischer Soldaten und zur
„Zerschlagung der NATO“ auf. Die von ihm ursprünglich geplante Demonstrationsroute zur McNair-Kaserne
gibt er auf, die US-Militärs haben Schusswaffengebrauch angekündigt.
![]()
Er nimmt Kontakt zu Atomkraftgegnern auf, nimmt an
Großdemonstrationen gegen Atomkraftwerke in Wyhl am Kaiserstuhl, Bonn und Brokdorf teil, organisiert und leitet
1978 den Bahro-Solidaritätskongress.
![]() Sohn Hosea Ché geboren 1968, Tochter Polly Nicole geboren 1969 ![]() und Sohn Rudi-Marek geboren 1980 ![]() mit Frau Gretchen Klotz, geb. USA 1942, verheiratet 1966 |
![]()
Rudi Dutschke versteht sich immer als demokratischer Sozialist. In seiner Studienzeit entwickelt er sich zu
einem überzeugten revolutionären Marxisten in den freiheitlichen Traditionen der Arbeiterbewegung, der sich vom Reformismus
ebenso wie vom Stalinismus abgrenzt.
![]()
Repräsentative Demokratie und Parlamentarismus sind für Dutschke Ausdruck einer repressiven Toleranz,
die die Ausbeutung der Arbeiter verschleiert und die Privilegien der Besitzenden schützt. Diese Strukturen sieht er als
nicht reformierbar an; sie müssten vielmehr in einem langwierigen, international differenzierten Revolutionsprozess umgewälzt
werden, den "Marsch durch die Institutionen".
![]() Die deutschen Proletarier lebten verblendet in einem falschen Bewusstsein und könnten die strukturelle Gewalt des kapitalistischen Staates daher nicht mehr unmittelbar wahrnehmen. Eine Selbstorganisation ihrer Interessen, Bedürfnisse, Wünsche sei damit geschichtlich unmöglich geworden. Ich halte das bestehende parlamentarische System für unbrauchbar. Das heißt, wir haben in unserem Parlament keine Repräsentanten, die die Interessen unserer Bevölkerung - die wirklichen Interessen unserer Bevölkerung - ausdrücken. Sie können jetzt fragen: Welche wirklichen Interessen? Aber da sind Ansprüche da. Sogar im Parlament. Wiedervereinigungsanspruch, Sicherung der Arbeitsplätze, Sicherung der Staatsfinanzen, in Ordnung zu bringende Ökonomie, all das sind Ansprüche, die muss aber das Parlament verwirklichen. Aber das kann es nur verwirklichen, wenn es einen kritischen Dialog herstellt mit der Bevölkerung. Nun gibt es aber eine totale Trennung zwischen den Repräsentanten im Parlament und dem in Unmündigkeit gehaltenen Volk. ![]()
Der Faschismus wirkt für Dutschke auch in der Gegenwart fort.
|
Hart und erbarmungslos sind die Auseinandersetzungen auf dem Höhepunkt der Studentenrevolte,
die vor 50 Jahren die Bundesrepublik erschüttert. Linke gegen Rechte. Junge gegen Alte.
Kriegskinder gegen Nazi-Eltern. Idealisten gegen moralisch Ausgebrannte.
|
![]() Dutschke und die RAF
Dutschke reflektierte jede Aktionsform und verknüpte sie mit einer politischen Situationsanalyse.
Er hielt theoretisch Attentate auf Tyrannen für legitim, aber nur als unmittelbaren Auslöser für eine Volksrevolution.
Wegen dieser fehlenden Voraussetzung lehnte er Anschlagspläne auf Diktatoren ebenso wie Terror für die Bundesrepublik ab.
|
Helmut Gollwitzer erinnert
in seiner Trauerrede an das letzte Telefonat Dutschkes an seinem Todesabend. Der Anrufer habe ihn an seine Anfänge
bei der christlichen Gemeinde in Luckenwalde erinnert: „Rudi, du hast nie
verlassen, wovon du ausgegangen bist, deine Anfänge bei der Jungen Gemeinde in der DDR und bei
der Kriegsdienstverweigerung…“ Dem habe Dutschke zugestimmt. Er habe nicht „Führer, Chefideologe,
Autorität“ sein wollen, aber zu den Revolutionären gehört, die „auf dieser Erde nicht alt geworden sind“.
|
Was weiß ein 1966 geborener Kapitalist?
TAZ |