Tympanon, Mater und Limbus:
vergangene Wörter aus Messing.
Wer wüsste schon, mit Alhidade,
Spinne und Regel, die Höhe der Sonne,
böhmische und babylonische Stunden
und den Stand der Gestirne
zu bestimmen, mit bloßen Händen?
Auf der Planisphäre das gestochene Bild
der Himmelskugel, Azimute,
Almukantarate und Horizont,
und über ihr kreisend ein zartes Netz
aus feinen Stegen, an deren Spitzen
Aldebaran, Rigel, Antares und Vega
zu sehen sind. Umgewendet
lassen Zodiak und Schattenquadrat
Horoskope berechnen, die Höhe
von Türmen und Gipfeln erkennen.
Ein Kalender, eine sinnreiche Sternenuhr,
ein Orakel, ein analoger Computer,
der im Museum schläft - altes Eisen
für Astronomen, die nichts mehr sehen.
Nur die fehlfarbenen Schemen des Bildschirms
und endlose Zahlenkolonnen.
Immer tiefer, in immer fernere Galaxien
blickt die erblindete Wissenschaft.*
|
Astronavigation
Wer heute Position, Kurs und SOG seines Schiffes wissen will, um ETA, Stromversatz oder
Etmal - traditionell mittags 12h - zu erfahren, tippt auf's GPS und liest die Leuchtzahlen ab,
über die digitalisierte Seekarte huscht das winzige Schiffchen: virtuelles Wir!
Vorbei sind die Zeiten, da wir mit dem Sextanten die Position bestimmten, die Höhe der Gestirne
(Sonne, Mond, Planeten oder Fixsterne) maßen. Im Nautischen Jahrbuch (NJ) schlugen wir nach, über welchem
Punkt Z der Erde die Sonne zum Messzeitpunkt senkrecht im Zenit stand. Da die mit dem Sextanten
gemessene Sonnenhöhe nicht 90°, sondern 90°- φ° betrug, war unser Standort Ow
um φ° nördlich, südlich, östlich oder westlich ...
oder sonst irgendwo auf einem Kreis O' mit dem Radius φ mal 60 sm um den Punkt Z.
Das machten wir einige Zeit später nochmals - ermittelten zusätzlich bei unsicherem Wetter noch mit dem
Peilkompass die Richtung zum Punkt Z.
Das war die Mittagsbreite.
Die Bestimmung der Länge zur Mittagszeit ist ebenso einfach. Die Erde dreht sich in 24 Stunden einmal um 360°. Wenn wir für unseren Ort exakt sagen können, wann die Sonne am höchsten steht, dann wissen wir, auf welcher Länge wir stehen.
Am Nullmeridian in Greewich hat die Sonne immer UTC 12:00 ihren Höchststand. Da sich die Erde mit 15°
pro Stunde dreht, folgt: Steht z.B. UTC 14:30 an unserer Position die Sonne am höchsten, befinden wir uns
2h30m westlicher als Greenwich, also auf 2,5 * 15° = 37°30'° W.
Da die Sonnenbahn um die Zeit des Mittagsdurchgangs, also wenn sie vom Aufsteigen zum Absinken wechselt, sehr flach ist,
und wir die Zeit des Höchststandes möglichst sekundengenau feststellen wollen, verwenden wird einen Trick.
Wir messen die Höhe der Sonne zu einem beliebigen Zeitpunkt am Vormittag, z.B. UTC 10:30:20 Uhr.
Den gemessenen Winkel lassen wir im Sextanten eingestellt, dann warten wir, bis die Sonne am Nachmittag exakt den gleichen Winkel
wieder erreicht. Da die Sonne einige Stunden vor bzw. nach der Mittagszeit schneller steigt bzw. fällt, ist der Zeitpunkt
des genauen Winkels leichter feststellbar als zur Mittagszeit.
Wir berechnen den Mittelwert zwischen den beiden Zeitpunkten gleichen Winkels.
Im Beispiel erreicht die Sonne nachmittags UTC 14:10:30 , also 3 Stunden 40 Minuten und 10 Sekunden später, wieder
die gleiche Höhe. Der Sonnenhöchststand liegt exakt dazwischen. Das sind 1 Stunde 50 Minuten und 5 Sekunden
nach 10:30:20 Uhr, also UTC 12:20:25, d.h. 20 Minuten und 25 Sekunden später ist als in Greenwich, etwa 1/3 Stunde
oder rund 5° West.
Der Längengrad sollte also etwa 5° W entsprechen.
(Leider dreht sich die Erde nicht ganz exakt in 24 Stunden einmal um sich selbst. Will man die Position exakt bestimmen,
schauen wir im NJ in die Tabelle für die Sonne. Die Spalte Grt (Ortsstundenwinkel) enthält für jeden Tag und jede Stunde
einen Wert, z. B. 000° 32,8'. Die Sonne ist UTC 12:00 ein klein wenig weiter gekommen als bis 000°. Mit den oben genannten
20 Minuten und 25 Sekunden errechnen wir, dass sich in 20 Minuten und 25 Sekunden die Erde um 20,42/60 einer Stunde
weiterbewegt hat, also um 0,34 x 15 Grad, was 5° 06' ergibt. Diesen Wert addieren wir zu 000° 32,8' und erhalten als eigenen
Längengrad den (gerundeten) Wert 005° 39' W.)
Abends und vor Sonnenaufgang "schossen" wir meist drei Fixsterne - und bekamen bei guter Übung (und mit einer sekundengenauen Uhr) und idealen Bedingungen Genauigkeiten unsere Position im Bereich von etwa zwei sm hin, was aber selten war:
Denn
- an Bord unseres Schiffes befinden wir uns auf schwankendem Untergrund
- Wolken und Dunstschleier verdecken oft die Sicht auf die Gestirne
- in der Nacht wird die Kimm überstrahlt und ist nur scheinbar gut wahrnehmbar
- unsere Planeten stehen oft zu tief über der Kimm
Die Nordsternbreite war meist am schnellsten und genauesten.
Selbst den Mond maßen und beschickten wir umfangreich, brachten die Höhengleichen als Gerade zum
Schnitt oder "versegelten" sie.
Nautisches Jahrbuch - NJ
Das amtliche Handbuch für die astronomische Navigation in der deutschen Hochseeschifffahrt erscheint seit 1850 jährlich und
enthält die Ephemeriden der Sonne, des Mondes und der vier Navigationsplaneten Venus, Mars, Jupiter und Saturn,
des Frühlingspunktes sowie die Koordinaten der Navigationssterne für jeden Tag in einstündigem Abstand nach UT1.
Die Ephemeriden sind die Positionswerte der Himmelkörper, bezogen auf den Frühlingspunkt, also ähnlich der
Länge und Breite eines Orts auf der Erde (bezogen auf die Länge von Greenwich).
*) H.M. Enzensberger trauert dem Astrolabium nach:
Astronomen, Wahrsager und Navigatoren unter unseren Altvorderen verwendeten Astrolabien (Unsere heutigenSternkarten sind vereinfachte Abwandlungen des Astrolabiums).
Das Astrolabium ist ein astronomisches Rechen- und Messinstrument. Der Benutzer bildet damit den sich drehenden Himmel nach und berechnet Sternpositionen.
Auf dem Tympanon, der festen Scheibe, sind Horizont und Kreise des horizontalen Koordinatensystems abgebildet. Darüber liegt die drehbare Rete (Spinne), die als Himmelskörper einige Sterne (Aldebaran, Rigel, Antares und Vega) und die Jahresbahn der Sonne (Ekliptik) enthält.
Ein Exempel (von vielen Anwendungsmöglichkeiten):
Stellt man die Rete auf Datum und Uhrzeit ein, lassen sich die Positionen der Sterne ablesen. Umgekehrt lassen sich aus Datum und Position eines Sterns oder der Sonne Uhrzeit oder Himmelsrichtungen bestimmen.
Auf der Rückseite befindet sich ein Diopter, mit dem man den Höhenwinkel eines Objekts auf der Erde (etwa LF) oder am Himmel (z. B. Stern, Mond oder Sonne) über der Kimm messen kann (was wir heute mit dem Sextanten machen).
Alhidade (oder Ostensor) ist die drehbare Messvorrichtung zur Winkelanzeige.
Böhmische Stunden sind äquinoktiale Stunden, die man ab Sonnenuntergang von 1 bis 24 zählt. Im Gegensatz dazu zählen die Babylonischen Stunden ab Sonnenaufgang.
Zodiak oder Tierkreis ist die ca. 20° breite Zone um die Ekliptik, innerhalb der die scheinbaren Bahnen von Sonne, Mond und Planeten verlaufen.
Ein Schattenquadrat befindet sich häufig auf der Rückseie der Astrolabien, ein Instrument zur Bestimmung der linearen Höhe eines Objekts
in Verbindung mit der Alidade für Winkelbeobachtungen.
Und wer schon in Prag vor dem Rathaus stand, erinnert sich: die Uhr enthält eine Astrolabium ...
|