2. April
LOUISE ASTON Nachtphantasien Ich liebe die Nacht! Ich liebe die Nacht! Doch nicht die einsame, trübe! Nein, die aus seligen Augen lacht, In flammender Pracht, in Zaubermacht, Die heilige Nacht der Liebe. Es mahne der Tod mich, der finstere bleiche, An das Leben, das lichte, das reiche, An den heiteren Genius der Welt! Drum hab ich ein knöchern Beingerippe Mit Kruzifix und drohender Hippe In meinem Zimmer aufgestellt. Fest schau ich es an bei Mondenscheine, Wenn ich in verzweifeltem Schmerze weine. Ein kämpfendes Kind der kämpfenden Zeit! Dann tauml ich empor in wildem Entzücken, Das Leben noch einmal ans Herz zu drücken, Bevor es vernichtendem Tode geweiht! Ja, kühlen in frischen Lebensfluten Will ich der lodernden Seele Gluten! Ich will, vor Sünde und Kreuz bewahrt, Stark durch des eigenen Geistes Ringen, Mich aus Fesseln und Banden schwingen Auf zu begeisterter Himmelfahrt! |
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3. April
AUGUST WILHELM SCHLEGEL Worte ![]() |
Worte sind nur dumpfe Zeichen, Die Gemüter zu entziffern, Und mit Zügen, Linien, Ziffern lässt sich Wissenschaft erreichen. Doch seht! Aus des Äthers Reichen Lässt ein Bild des ewgen Schönen Nieder zu der Erde Söhnen Sich in Bild und Ton nun schicken. Liebe spricht in hellen Blicken, Liebe denkt in süßen Tönen. Liebe stammt vom Himmel oben, Und so lehrte sie der Meister, Welchen seine hohen Geister In derselben Sprache loben. Denn beseelt sind jene Globen. Strahlend redet Stern mit Stern Und vernimmt den andern gern, Wenn die Sphären rein erklingen. Ihre Wonn ist Schaun und Singen, Denn Gedanken stehn zu fern. Stumme Zungen, taube Ohren, Die des Wohllauts Zauber fliehn, Wachen auf zu Harmonien, Wenn die Lieb sie neu geboren. Angeschienen von Auroren, Deren Strahlen leis und fern, Haucht die Lieb aus starrem Kern Ihre Sehnsucht aus in Liedern. Und der Sonne Gruß erwidern, Nur in Tönen mag sie gern. Töne sind die Kunst der Liebe. In der tiefsten Seel empfangen, Aus entflammendem Verlangen Mit der Demut heilgem Triebe. Dass die Liebe treu sich bliebe, Zorn und Hass sich ihr versöhnen, Mag sie nicht in raschen Tönen, Nur mit heitrer Jugend scherzen. Sie kann Tod auch, Trauer, Schmerzen Alles, was sie will verschönen. |
4. April
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5. April
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6. April
FRIEDRICH NIETZSCHE An den Mistral Mistral-Wind, du Wolken-Jäger, Trübsal-Mörder, Himmels-Feger, Brausender, wie lieb ich dich! Sind wir zwei nicht eines Schoßes Erstlingsgabe, eines Loses Vorbestimmte ewiglich? Hier auf glatten Felsenwegen Lauf ich tanzend dir entgegen, Tanzend, wie du pfeifst und singst: Der du ohne Schiff und Ruder Als der Freiheit freister Bruder Über wilde Meere springst. Kaum erwacht, hört ich dein Rufen, Stürmte zu den Felsenstufen, Hin zur gelben Wand am Meer. Heil! da kamst du schon gleich hellen Diamantnen Stromesschnellen Sieghaft von den Bergen her. Auf den ebnen Himmels-Tennen Sah ich deine Rosse rennen, Sah den Wagen, der dich trägt, Sah die Hand dich selber zücken, Wie sie auf der Rosse Rücken Blitzesgleich die Geißel schlägt. – Sah dich aus dem Wagen springen, Schneller dich hinabzuschwingen. Sah dich wie zum Pfeil verkürzt Senkrecht in die Tiefe stoßen, – Wie ein Goldstrahl durch die Rosen Erster Morgenröten stürzt. Tanze nun auf tausend Rücken, Wellen-Rücken, Wellen-Tücken – Heil, wer neue Tänze schafft! Tanzen wir in tausend Weisen, Frei – sei unsre Kunst geheißen, Fröhlich – unsre Wissenschaft! |
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Eine Blüte uns zum Ruhme Tanzen wir gleich Troubadouren Zwischen Heiligen und Huren, Zwischen Gott und Welt den Tanz! Wer nicht tanzen kann mit Winden, Wer sich wickeln muss mit Binden, Angebunden, Krüppel-Greis, Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen, Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen, Fort aus unsrem Paradeis! Wirbeln wir den Staub der Straßen Allen Kranken in die Nasen, Scheuchen wir die Kranken-Brut! Lösen wir die ganze Küste Von dem Odem dürrer Brüste, Von den Augen ohne Mut! Jagen wir die Himmels-Trüber, Welten-Schwärzer, Wolken-Schieber, Hellen wir das Himmelreich! Brausen wir ... o aller freien Geister Geist, mit dir zu zweien Braust mein Glück dem Sturme gleich. – Und dass ewig das Gedächtnis Solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis Nimm den Kranz hier mit hinauf! Wirf ihn höher, ferner, weiter, Stürm empor die Himmelsleiter, Häng ihn - an den Sternen auf! |
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7. April
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8. April
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9. April
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10. April
SARAH KIRSCH Legende über Lilja
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Soll ich gehen, soll ich nicht? Ein paar Tage südwärts fliegen, Unterm makedonschen Licht Ohne meinen Schatten liegen? Wird es mir noch mal gelingen, Deutsche Häute abzustreifen Und beim Kolo mitzusingen, Ohne etwas zu begreifen? Wenn ich in den Spiegel spähe, Sage ich mir: lass es bleiben! Schließlich kannst du aus der Nähe Dichtend in die Ferne treiben. |
Du hast alles schon genossen Und gesehen und geliebt. Deine Jugend ist verflossen. Wohl dem, der sich drein ergibt. Wie ich so vernünftig denke Und bewusst Entschlüsse fasse, Tauche ich in meine Schränke Und probiere, ob er passe, Den verwegen roten Rock, Den ich letztes Jahr getragen. Und ich denke: mit dem Stock Sollte man dich Alte schlagen. |
HEINZ ERHARDT
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13. April
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14. April
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Dieses Lied ist für Gustaf auch, er hat ein Holzbein und ein dicken Bauch, liebt Kaiserstuhlwein noch mehr als ich drum geht er nicht korrekt auf'm Strich. Er ist ein Rundfunkredakteur, ich sage Euch, der Job ist schwer, jedenfalls wenn's um die Wahrheit geht, weil die dort im Giftschrank steht. Gustaf ließ uns an's Mikrofon, wir war'n zu deutlich, das reichte schon, also war seine Karriere kaputt - was kriegte der Mann auf den Hut! Du Gustaf hast mal was riskiert, bloß dass der Rundfunk informiert, was Du getan hast ist radikal - ach wär's doch normal! Dieses Lied ist für die Miriam, die sah damals Fotos aus Vietnam und wußte, in Hamburg, fern vom Schuss, was man gegen Krieg machen muss. Wir brachten Ihr nachts einen Deserteur, hinter dem war die NATO her, sie fragte ihn nicht mal, wie er heisst, hat ihn nach Schweden geschleust. Ich hoff', sie wurde niemals gefasst, für solche Taten gab's nämlich Knast, die Kriegsverbrecher aus Washington war'n auch am Ruder in Bonn. Dir Miriam blüht kein Friedenspreis, den pflückt ein Gangster, der Bomben schmeisst: Was Du getan hast, ist radikal - ach wär's doch normal! |
Dieses Lied ist für die Barbara, die war in Whyl von Anfang an da, muss doch drei Kinder versorgen und hat ein' Job im Büro in der Stadt. Als unser Auto samt Megaphon gesucht wurde wegen Agitation sagte sie nur: "Ein klarer Fall! Den Käfer versteck' ich im Stall." In ihrer Herberge war Platz trotz aller Terroristenhatz. Unser VW saß friedlich im Heu und Esel und Ochs war'n dabei! Du Barbara hast nicht Worte gemacht, sondern geholfen und laut gelacht: was Du getan hast, ist radikal - ach wär's doch normal! Dieses Lied ist für Alfred aus einem gelben Gewerkschaftshaus, wo mancher heut die Klappe hält, damit ihn kein Schießhund verbellt. Ich hab' ihm gesagt, das ist doch Stuss, der Unvereinbarkeitsbeschluss und die Atommafia ist kriminell - trotzdem lädt er mich ein offiziell! Er ist nicht käuflich, na Gott sei Dank, weder von Siemens noch der Deutschen Bank, irgendwann fliegt er aus seinem Büro, - das ist Berufsrisiko! Dir, Alfred, verzeih'n sie doch nie, Deine Lust an der Demokratie, was Du getan hast ist radikal - ach tu's doch nochmal! |
Dieses Lied ist für George Brassens, den Liedermacher aus der Provence, der liebt die Leut' und 's Katzenvieh und bisschen die Anarchie. Er hat mich gelehrt, mich umzuseh'n statt aufzuseh'n zu lichten Höh'n; wo über uns sitzen Gesässe aus Stein, Ärsche mit Heiligenschein. Aber so um uns rum vis-a-vie Alfred und Gustaf und Ann-Marie, Miriam oder Barbara, die brauchen wir und die sind da! Ich hab' Euch dieses Lied erzählt, weil sowas leicht auf den Abfall fällt, was da so klein scheint und normal - das ist radikal! nochn Gedicht |
15. April
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16. April
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17. April
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18. April Palästinalied ![]()
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19. April
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20. April
EVA VARGAS
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21. April
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22. April
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23. April
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24. April
KÄTHE KOLMAR Ich werde sterben ![]() Ich werde sterben, wie die Vielen sterben; Durch dieses Leben wird die Harke gehn Und meinen Namen in die Scholle kerben. Ich werde leicht und still und ohne Erben Mit müden Augen kahle Wolken sehn. ![]()
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25. April
FRITZ BRÜGEL Flüsterlied ![]()
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26. April
GÜNTHER WEISENBORN Ahnung
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27. April
ALFRED KERR Die Illegalen
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28. April
GEORG MANNHEIMER Ihr fragt Ihr fragt, warum mein Lied so grau, Ihr fragt, warum so wenig Blau, Warum so wenig Sonne fällt, In meine Lieder, meine Welt? Ihr fragt, warum so wenig Blau, Warum so wenig Sonne fällt? So hört: MEIN VOLK IST MEINE WELT! Und diese Welt ist grau, nur grau .... |
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29. April
LOUIS FÜRNBERG Alt möcht ich werden Alt möcht ich werden wie ein alter Baum, mit Jahresringen, längst nicht mehr zu zählen, mit Rinden, die sich immer wieder schälen, mit Wurzeln tief, dass sie kein Spaten sticht. |
In dieser Zeit, wo alles neu beginnt, und wo die Saaten alter Träume reifen, mag wer da will den Tod begreifen - ich nicht! Alt möcht ich werden wie ein alter Baum, zu dem die sommerfrohen Wandrer fänden, mit meiner Krone Schutz und Schatten spenden in dieser Zeit, wo alles neu beginnt. Aus sagenhaften Zeiten möcht ich ragen, durch die der Schmerz hinging, ein böser Traum, in eine Zeit, von der die Menschen sagen: Wie ist sie schön! O wie wir glücklich sind ( Es war ihm nicht vergönnt, Fürnberg starb mit 48) |
30. April
ALBRECHT HAUSHOFER In Fesseln Für den, der nächtlich in ihr schlafen soll, So kahl die Zelle schien, doch reich an Leben Sind ihre Wände, Schuld und Schicksal weben Mit grauen Schleiern ihr Gewölbe voll. Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, Ist unter Mauerwerk und Eisengittern Ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern, Das andrer Menschen tiefe Not enthüllt. Ich bin der Erste nicht in diesem Raum, In dessen Handgelenk die Fessel schneidet, An dessen Gram sich fremder Wille weidet. Der Schlaf wird Wachen, wie das Wachen Traum. Indem ich lausche, spür' ich durch die Wände Das Beben vieler brüderlicher Hände. |
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