Kind, sag mir,
drückt dich dein Herz wie mich
meines, Jahr um Jahr
aufgeschüttet von den Wellen
des Meers eine Kiesbank
bis hinauf in den Norden,
jeder Stein eine tote Seele
und dieser Himmel so grau,
so gleichmäßig grau,
und so niedrig
hab ich den Himmel
noch nirgends gesehn.
Den Horizont entlang
ziehen die Frachter
hinüber in eine andere Zeit,
gemessen am Ticken
der Geiger im Kraftwerk
von Sizewell, wo sie langsam
den Kern des Metalls
zerstören. Raunender
Wahnsinn auf der Heide
von Suffolk. Is this
the promis'd end? Oh,
you are men of stones.
Was todt ist, das
bleibt todt. Aus lieben
kömmet Leben. Ich weiß nicht,
wer mir sagt, was? wie?
wo oder wenn ? Ist nun
die Liebe nichts? als Alles?
Wasser? Feuer? Gut?
Böse? Leben? Todt?








Kosmos

O terrae, o calamitates!

Auf drei Erdteilen hat Odysseus im Verlauf seiner Seereise Station gemacht, in Europa, Asien und Afrika. Selbst hat er sich das kaum in dieser Weise verdeutlicht gegen Ende des zweiten Jahrtausends vor unserer sich an der Geburt Christi orientierenden Zeitrechnung, es war das Meer, das er befuhr, kaum kleiner als die Welt, vertraut und zugleich voller endloser Wunder. Die Geschichte geht so, Odysseus habe auf dem schnellsten Wege von Troja nach Ithaka zurückkehren wollen, aber immer hat es auch Vermutungen gegeben, die Verzögerungen seien ihm nur recht und die Dauer der Reise habe sich für ihn gar nicht lang genug ausdehnen können. Zur Odyssee
Dante hat ihn dann auch erneut ausfahren lassen zu einer letzten Reise, nach Westen, zum Felsen von Gibraltar offenbar mit dem Ziel, Amerika zu entdecken, aber es geht nicht gut: Tre volte il fé girar con tutte l'acque; a la quarta levar la poppa in suso e la proa ire in giù, com'altrui piacque, infin che 'l mar fu sovra noi richius – rund zweieinhalbtausend Jahre mußte sich die Welt dann noch gedulden und auf Kolumbus und Amerigo Vespucci warten.

Das Verhältnis Sebalds zum Reisen ist ähnlich unentschieden wie das seines fernen Vorfahren, zum einen ist er ständig unterwegs, zum anderen ist er von allen Sehenswürdigkeiten maßlos enttäuscht und wäre, wie er oft meint, viel besser mit seinen Landkarten und Fahrplänen zu Hause geblieben. Besonders zurückhaltend steht er der Seefahrt gegenüber und unter den Luftfahrzeugen finden wirkliches Wohlgefallen nur die kleinen Maschinen, in denen neben dem Piloten vielleicht noch ein Passagier Platz findet. Der Bezirk seiner Reisetätigkeit ist eher begrenzt, im Verhältnis zur jeweils bekannten Welt gegenüber dem des Odysseus arg begrenzt, und reicht im Norden kaum über Südostengland hinaus, im Süden nicht über Korsika, im Osten bis Böhmen und im Westen bis Paris.

Kein Gedanke daran, jedes seiner nach jedem Maßstab außergewöhnlichen Werke hätte, wie im Falle von Bruce Chatwin, einen anderen Weltteil zum Schauplatz gehabt.
Nordamerika ist der einzige fremde Erdteil, den er aufsucht und das keineswegs aus frohem Herzen, bald nichts wäre ihm absurder erschienen als der Gedanke, er könne einmal ungezwungenermaßen eine Reise nach Amerika unternehmen, und es ist eigentlich nicht die Fremde, die er dort vorfindet, denn Amerika hatte zuvor bereits das heimatliche Allgäu aufgesucht: Die allgemeine Moral der am Ort stationierten Besatzungsmacht wurde von den Einheimischen schon bald, wie man ihren halb hinter vorgehaltener Hand, halb lauthals gemachten Bemerkungen entnehmen konnte, als einer Siegermacht unwürdig empfunden. Sie ließen die von ihnen requirierten Häuser verlottern, hatten keine Blumen auf dem Balkon und statt Vorhängen Fliegengitter im Fenster. Die Weiber gingen in Hosen herum und warfen ihre lippenstiftverschmierten Zigarettenkippen auf die Straße, die Männer hatten ihre Füße auf dem Tisch, die Kinder ließen die Fahrräder in der Nacht im Garten liegen, und was man von den Negern halten sollte, das wußte sowieso kein Mensch.
Für Sebald folgt eine kurze Phase der inneren Amerikanisierung seiner Person, während der er streckenweise zu Pferd, streckenweise in einem dunkelbraunen Oldsmobile die Vereinigten Staaten in allen Himmelsrichtungen durchquerte, und die ihren Höhepunkt erreichte zwischen dem sechzehnten und siebzehnten Lebensjahr, als er die Geistes- und Körperhaltung eines Hemingway-Helden an sich auszubilden versuchte, ein Simulationsprojekt, das aus verschiedenen Gründen, die man sich denken kann, von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Bei seiner Jahrzehnte späteren Reise kann er andererseits sicher sein, in Amerika das Allgäu vorzufinden: Die nachstehende Fotografie

beispielsweise wurde in der Bronx gemacht. Ganz links sitzt die Lina neben dem Kasimir. Ganz rechts sitzt die Tante Theres. Das kleine Kind mit der Brille ist die Flossie, die nachmals Sekretärin in Tucson/Arizona geworden ist und mit über fünfzig noch das Bauchtanzen gelernt hat. Das Ölgemälde an der Wand stellt unseren Heimatort W. dar. Auch auf dem insgesamt sehr kleinen und farbfreien Photo, auf dem das Ölgemälde als bloßes Detail zur ausgemachten Winzigkeit verurteilt ist, bleibt doch zu erkennen, daß die vielgescholtenen Holzerbilder des Wertacher Kunst- und Heimatmalers Hengge relativ dazu als Repräsentanten der Hochkunst einzuschätzen sind.

Das geringe Interesse Sebalds, ferne Weltgegenden zu bereisen, ist keineswegs gleichzusetzen mit einem fehlenden Interesse an fernen Weltgegenden. Gern läßt er sich von vorgefundenen Schilderungen fremder und ferner Länder forttragen und verleiht ihnen das intensive Leuchten seiner Prosa. Die Erzählung Ambros Adelwarth, in der sich Sebald zu zwei Amerikareisen veranlaßt sieht, schließt mit längeren Aufzeichnungen des Onkels Ambros über eine orientalische, die Route des Odysseus kreuzende Reise zunächst nach Athen und von dort nach Istanbul und Jerusalem.

Heute werden Einübungen veranstaltet, die Türkei als europäisches Land und mithin Istanbul als europäische Stadt zu empfinden, in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war es ohne Frage die morgenländische Hauptstadt, die weit voraus auftauchte wie eine Luftspiegelung zuerst. Die Dunkelheit zieht herein von den umliegenden Hängen über die niedrigen Dächer, wächst empor aus den Abgründen der Stadt über die bleigrauen Kuppeln der Moscheen und reicht schließlich herauf bis zu den vor dem Erlöschen besonders hell noch einmal aufleuchtenden Spitzen der Minarette. Du biegst in eine dustere, immer enger werdende Gasse, glaubst dich bereits gefangen, machst einen letzten Verzweifelungsschritt um eine Ecke und überblickst unvermittelt von einer Art Kanzel aus das ausgedehnteste Panorama. Große Teile der Stadt ganz aus Holz. Häuser aus Braun und grau verwitterten Balken und Brettern, mit flachen Giebeldächern, vorstehenden Altanen. Eine hölzerne Stiege führt auf die von einem Weinstock überlaubte Dachterrasse hinauf. Nebenan auf der Galerie des Minaretts erscheint ein zwergenhafter Muezzin. Drunten auf dem goldenen Horn kreuzen Tausende von Kähnen, und weiter zur Rechten bis an den Horizont erstreckt sich die Stadt Istanbul. Wir wandten uns zum gehen aus dem Halbdunkel einer Moschee in die sandweiße Helligkeit des Hafenplatzes. Wir überquerten ihn wie zwei Wüstenwanderer mit der Hand die geblendeten Augen beschattend.

Das Gefäß der beiden Gralssucher scheint sich mit den Essenzen morgenländischen Exotismen zu füllen und auf Erfüllung in Jerusalem zu warten. Jerusalem ist ein exterritorialer Ort, an dem sich die Enden der Welt treffen. Nach Norden liegen die russische Kathedrale, das russische Männer- und Frauenhospiz, das französische Hospital de St. Louis, das jüdische Blindenheim, die Kirche und das Hospiz des hl. Augustinus, die deutsche Schule, das deutsche Waisenhaus, das deutsche Taubstummenasyl, the School of the London Mission of the Jews, die Abessinische Kirche, the Anglican Church, College and Bishop’s House, das Dominikanerkloster, das Seminar und Kirche St. Stephan, das Rothschildsche Institut für Mädchen, die Gewerbeschule der Alliance Israélite, die Kirche Notre Dame de France und am Teich von Bethesda der St. Anna Convent; auf dem Ölberg steht der Russische Turm, die Himmelfahrtskapelle, die französische Paternosterkirche, das Kloster der Karmeliterinnen, das Gebäude der Kaiserin-Augusta-Victoria-Stiftung, die orthodoxe Kirche der hl. Maria Magdalena und die Todesangst-Basilika; im Süden und Westen befinden sich das armenische Kloster Berg Zion, die Protestantenschulen, die Niederlassung der Schwestern des hl. Vinzenz, das Johanniterspital, der Klarissinnenkonvent, das Montefiorehospiz und das moravische Leprosenhaus. In der inneren Stadt gibt es die Residenz des lateinischen Patriarchen, den Felsendom, die Schule der Frères de la Doctrine Chrétienne, die Schule und Druckerei der franziskanischen Bruderschaft, das koptische Kloster, das deutsche Hospiz, die deutsche evangelische Erlöserkirche, die sogenannte United Armenian Church of the Spasm, den Couvent des Soeurs de Zion, das österreichische Spital, das Kloster und Seminar der algerischen Missionsbruderschaft, die Kirche Sant’Anna, das Judenhospiz, die aschkenasischen und sephardischen Synagogen und die Grabeskirche mit dem Gewirr der ineinandergebauten Quer- und Seitenschiffe, Kapellen, Schreine und Altäre.

Aber dieser Weltheilsaufmarsch führt keineswegs zum Heil. Über den Dächern kein Laut, kein Lebenszeichen, nichts. Nirgends, soweit das Auge ausschweift, erblickt man ein lebendiges Wesen, ein huschendes Tier oder auch nur den kleinsten Vogel im Flug. On dirait que c’est la terre maudite. In der Vergangenheit hat Jerusalem einen anderen Anblick geboten. Neun Zehntel des Glanzes der Welt waren auf diese prachtvolle Hauptstadt vereint. Jahrelang ist dann das Projekt der Niederlegung des Lebens von den Cäsaren planmäßig betrieben worden, und auch später hat man Jerusalem wiederholt heimgesucht, befreit und befriedet, bis endlich die Verödung vollendet und von dem unendlichen Reichtum des Gelobten Landes nichts mehr übrig war als der dürre Stein und eine ferne Idee in den Köpfen seiner inzwischen weit über die Erde hin verstreuten Bewohner. - Die Gralsucher können nicht fündig werden. Wie auch im Austerlitzbuch stehen die Römer, stellvertretend für Europa, an der Quelle des Unheils.

Eine frühe Reise des Ambros Adelwarth nach Fernost hat eine Prosatuschzeichnung Japans in der Erzählung hinterlassen: Von papierenen Zimmerwänden ist die Rede gewesen, vom Bogenschießen und viel von immergrünen Lorbeer, Myrthen und wilden Kamelien. Und auch an einem alten Kampferbaum entsinne ich mich noch, in den fünfzehn Menschen hineingepasst haben sollen, an die Geschichte einer Enthauptung und an den Ruf des japanischen Kuckucks Hototogisu.

Die tiefgehenden Begegnungen mit Asien sowohl als auch mit Afrika finden aber im Saturnbuch statt, die Zeit ist das neunzehnte Jahrhundert und die Szenerie der europäische, in gewissem Sinne spätrömische Imperialismus des neunzehnten Jahrhunderts.

China ist freilich so sehr mit sich selbst beschäftigt, daß es den imperialistischen Eingriff an seiner Außenhaut kaum wahrnimmt. Die Befriedung der Elementargewalten war in China von jeher aufs engste verbunden mit dem die Herrscher auf dem Drachenthron umgebenden, die winzigsten Verrichtungen nicht anders als die größten Staatsaktionen regierenden Zeremoniell, das zugleich diente zur Legitimierung und Verewigung der ungeheueren, in der Person des Kaisers versammelten profanen Macht.

In der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts war sowohl der höchste Grad der Ritualisierung der kaiserlichen Macht erreicht als auch der größte Grad ihrer Aushöhlung. Mehr als zwanzig Millionen Menschen wurden im Laufe von knapp fünfzehn Jahren ums Leben gebracht. Ohne Zweifel übersteigt das damals im Reich der Mitte herrschende blutige Grauen jedes Vorstellungsvermögen.

Die Engländer als die vermeintlichen Herren der Welt sind irritiert von dem geringen Interesse, ja ihrer fehlenden Wahrnehmung geradezu seitens der sich vollauf selbst genügenden Chinesen und provoziert von den unübersehbaren Zeichen einer überlegenen Kultur, wie sie sich nicht zuletzt in der Kunst des Gartenbaus zeigt. Der wahre Grund der Brandschatzung lag, wie man annehmen muß, in der unerhörten Provokation, welche die aus der irdischen Wirklichkeit geschaffene, jede Idee von der Unzivilisiertheit der Chinesen sogleich vernichtende Paradieswelt darstellte für die selber unendlich weit von zuhause abgekommenen, an nichts als Zwang, Entbehrung und die Abtötung ihrer Sehnsüchte gewohnten Krieger. Das der militärischen Disziplin und überhaupt jeder Vernunft spottende furchtbare Zerstörungswerk, das im Verlauf der folgenden Tage in der legendären Gartenlandschaft vollbracht wurde, ist nur teilweise begreifbar als eine Folge der Wut über die immer weiter sich verschleppende Entscheidung. Mit unglaublicher Geschwindigkeit gingen die zumeist aus Zedernholz gebauten Tempel, Solitüden und Eremitagen nacheinander in Flammen auf und verbreitete sich krachend und springend das Feuer durch das grüne Gebüsch und die Wälder. Bis auf ein paar steinerne Brücken und Marmorpagoden war bald alles zerstört.

Ganz anders ist die Situation in Afrika. Hier ist das, was vorher war, gar nicht mehr erkennbar, es herrscht uneingeschränktes Grauen und Vernichtung durch die belgischen Kolonisatoren. Wir folgen Joseph Conrad, dem ohne weiteres das Kommando eines am Oberlauf des Kongo verkehrenden Dampfboots übertragen wurde, wahrscheinlich weil dessen Kapitän, ein Deutscher oder Däne namens Freiesleben, gerade von den Eingeborenen umgebracht worden war. Schon im Verlauf der langen Seereise erkennt Korzeniowski allmählich den Wahnsinn des ganzen kolonialen Unternehmens. Die Instrumente der Ausbeutung sind Handelskompanien wie die Société Anonyme pour le Commerce du Haut Congo, deren bald legendären Bilanzen beruhen auf einem von sämtlichen Aktionären und sämtlichen im Kongo tätigen Europäern sanktionierten Zwangsarbeit und Sklavensystem. In manchen Regionen des Kongo wird die eingeborene Bevölkerung durch die erpreßte Arbeitsleistung bis auf geringe Reste dezimiert. Zwischen Geröllhalden und den mit rostigen Wellblech gedeckten, willkürlich in die Gegend gesetzten Baracken, unterhalb der hohen Felsklippen, aus denen der Strom sich hervordrängt, sowie an den steilen Abhängen der Ufer, überall sieht man schwarze Figuren in Trupps bei der Arbeit und Trägerkolonnen, die in langer Linie sich fortbewegen durch das unwegsame Terrain. Ein Stück weit außerhalb des besiedelten Areals stößt man auf einen Platz, an dem die von der Krankheit Zerstörten und von Hunger und Arbeit Ausgehöhlten zum Sterben sich niederlegen. Wie nach einem Massaker liegen sie da in dem gräulichen Dämmer auf dem Grunde der Schlucht. Offenbar hält man diese Schattenwesen nicht auf, wenn sie sich davonschleichen in den Busch. Sie sind jetzt frei, frei wie die Luft, die sie umgibt, und in die sie sich nach und nach auflösen werden.

Auf Südamerika werfen wir einen nur kurzen Blick im Zuge der Flucht des in Dachau gepeinigten Gastone Novelli im Austerlitzbuch: Kaum halbwegs wiederhergestellt sei er mit dem erstbesten Schiff nach Südamerika gegangen, um sich dort als Diamanten- und Goldsucher durchzubringen. Eine Zeitlang lebte Novelli in der grünen Wildnis bei einem Stamm kleiner, kupferglänzender Leute, die eines Tages, ohne daß auch nur ein Blatt sich gerührt hätte, neben ihm aufgetaucht waren wie aus dem Nichts. Dezent leuchtet eine rückgewandte Utopie auf. Sicher hat Sebald Gefallen gefunden an Ciorans Einschätzung, nie habe es geschehen dürfen und es sei die größte Katastrophe, daß der Mensch über den Status des Hirten hinauswuchs.

Noch die biblischen Urväter waren Hüter ihrer Herden, gut denkbar, daß Cioran vor allem sie vor Augen hatte, um die geistige Ausstattung dieser Lebensform muß man also nicht besorgt sein. Jedenfalls ist man bei den indianischen Wildbeutern auf der sicheren Seite. - Ansonsten bleiben Südamerika in der Gestalt Patagoniens und umsomehr Australien ganz Chatwin überlassen mit der späten Ausprägung der frühen, bis zu Marco Polo herabreichenden Reiseberichte, in denen ja die Wirklichkeit ständig sich verdichtet ins Metaphysische und Mirakulöse und der Weg der Welt von vornherein durchschritten wird im Hinblick auf das eigene Ende.

Sebalds Werk ist von einem umfassenden Schuld- und Verhängniszusammenhang durchdrungen, der sich primär um die deutsche Schuld zentriert und dabei Kontur gewinnt vor dem europäischen Hintergrund, sekundär aber um die europäische Schuld, historisch verlängert in das Verhängnis Roms, das Kontur gewinnt vor dem Hintergrund der restlichen Welt. Das himmlische Jerusalem, Europas metaphysische Hauptstadt, ist verloren und hat den Platz abgetreten an Manchester, das neue Jerusalem, wie es in der Erzählung Max Aurach heißt, und die erste Hauptstadt der kapitalistischen Wirtschaft- und Lebensweise als neuer Heilsordung.

Aus all dem ergibt sich keine objektive Weltordnung. Sebalds Werk ist faktisch aber nicht poetisch notwendig an der deutschen Erfahrung festgemacht. Das Kongo- und das Chinakapitel in den Ringen des Saturn lassen erahnen, wie die Motive sich verschoben hätten, wäre Sebald als belgischer oder britischer Autor aufgewachsen, das Chinakapitel erlaubt vielleicht sogar die flüchtige Vision eines chinesischen Autors Se-Bao. Die Vorstellung eines Autors der neuen Welt mit Namen Sebald will nicht recht greifen, die jugendliche Annäherung an Hemingway war gescheitert und mit Updike hätte er in der Folge kaum mehr Glück gehabt. Näher stand ihm wohl der Argentinier Borges, wie nahe, weiß man nicht.

Oberschelp





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