Národní muzeum
Nationalmuseum






Während des Prager Frühlings 1968 hält die Rote Armee das Gebäude irrtümlich für das Parlament oder den Präsidentenpalast und beschießt es mit Panzern, die ausgebesserten Stellen in der Fassade sind noch heute zu erkennen. In den 70er Jahren droht wegen des U-Bahn-Baus ein Teilabriss, es gibt Schäden am Vestibül des Museums, und noch immer ist das Gebäude in schlechtem Bauzustand, die Renovierungen laufen.
Alles über Volk, Land und Leute ist im Nationalmuseum, Václavské náměsti 68, am Wenzelsplatz zu finden, dem Hauptgebäude des Národní muzeums, führendes Museum in Tschechien zur Kultur- und Naturgeschichte. Die archäologisch-historische Abteilung ist veraltet (einschließlich Slowakei), es gibt eine mineralogische (größte Europas), eine zoologische und eine anthropologische Abteilung. Die Bibliothek umfasst 3,5 Millionen Bücher.
1818 gegründet, 1885 bis 1891 im Neorenaissance-Stil nach dem Vorbild des Pariser Louvre oder des Alten Museums in Berlin gebaut. Die Vorderfront hat eine Länge von 100 Meter, gegossene Laternen, allegorische Darstellungen Tschechiens mit Mähren und Schlesien, Elbe und Moldau, die Fassade mit vergoldeten Marmorplatten mit Namen bedeutender tschechischer Persönlichkeiten, in der Eingangshalle und am Treppenaufgang Bronzestatuen des Münchner Bildhauers Ludwig Schwanthaler, an den Wänden berühmte Plätze tschechischer Geschichte.




















Přemysl und Libuše



Im Nationalmuseum begrüßt dieses merkwürdige Paar die Besucher, Přemysl, der Pflüger, ist mythischer Stammvater des böhmischen Herrschergeschlechts der Přemysliden. Als eine Seuche den Stamm der Böhmen heimsucht, findet das Volk auf Rat der Wahrsagerin Libuše den weisen Přemysl, der mit nichts anderem als mit Pflügen der Felder beschäftigt ist. Die Hochzeit des Pflügers mit der Wahrsagerin und die Gründung der Stadt Prag erlöst das Land von der Seuche, alle Fürsten Böhmens stammen fortan aus Přemysls Geschlecht.
Ineressanterweise sind die Statuen in der Vorhalle des Nationalmuseums nicht für dieses Gebäude gemacht, sondern Antonín Veith bestellt sie bei Schwanthaler für sein Pantheon in Tupadly, das er mit zwanzig Bronze-Statuen berühmter Tschechen schmücken will. Veiths Idee stammt von der Walhalla Ludwigs I. in Bayern von 1842, deren Skulpturen sein Hofbildhauer Schwanthaler erschafft, Schwanthaler stirbt 1848, Veith 1853, er vermacht die schon gelieferten acht Skulpturen dem Nationalmuseum, die im Pantheon-Festsaal des Nationalmuseums ihren Platz finden, aber nur für 9 Jahre, dann ziehen sie in Eingangshalle und Treppenaufgang um - tschechische Nationalisten dulden sie nicht mehr im Pantheon.
Das gute deutsch-tschechische Verhältnis endet 1848, als die Tschechen sich entschieden weigern, Teil eines geeinigten deutschen Reichs zu werden und anfangen, eigene Vorstellungen von Staat, Geschichte und Verfassungsrecht zu entwickeln.
Die Deutschen, Sudendeutsche genannt - sie stellen prozentual eine größere Volksgruppe als die Slowaken dar - leben vor allem in industriell geprägten Ballungsräumen und sind mit ihrer Stellung im Staat unzufrieden, weil tschechische Truppen 1918 Volksabstimmungen verhindern und den von den Sudetendeutschen geplanten Anschluss an Österreich die Siegermächte untersagen.
Ehemals österreichische Beamte, die kein Tschechisch sprechen, werden enntlassen, ebenso Chefs staatseigener Betriebe. In deutschen Schulen wird Tschechisch als Pflichtfach eingeführt, viele Deutschen lehnen das ab, wie sie überhaupt in den zwanziger Jahren in einer Fundamentalopposition gegenüber den neuen Machthabern verharren, gekennzeichnet durch Aktivismus und Negativismus. Die deutschen Sozialdemokraten sind 1920 bis 1935 stärkste deutsche Fraktion im Prager Abgeordnetenhaus, ab 1929 auch Regierungspartei. Ein Großteil der deutschen Bevölkerung ist vom Nationalsozialismus fasziniert.
Die nach Autonomie strebende Sudetendeutsche Partei Konrad Henleins, hervorgegangen aus der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei, wendet sich 1937 Adolf Hitler zu. Im März 1938 beginnt die Sudetenkrise, durch das provokative Karlsbader Programm der Sudetendeutschen Partei verschärft, sie gipfelt im Münchner Abkommen (die Tschechen nennen es Münchner Diktat): Die Tschechoslowakei muss ihr gesamtes Grenzgebiet zum Deutschen Reich mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung (Sudetenland) an Deutschland abtreten.
Was verbleibt, ist ein wehrunfähiger und wirtschaftlich untauglicher Reststaat.
Vertreibungen, Morde an Tschechen, Massenmorde und Verschleppungen tschechischer Juden und Sintis folgen, es folgenden Vergeltungsaktionen, Sabotageakte tschechischer Widerstandskämpfer, was grausamste Reaktionen durch Wehrmacht und die SS hervorruft.
Präsident Beneš legt sein Amt nieder und geht nach London, hinterlässt Chaos und Machtvakuum, die Slowaken erklären einen Tag später ihre Autonomie.
Im Oktober liquidiert Hitler die Tschechoslowakei und die Abtrennung der Slowakei, 1939 besetzt die deutsche Wehrmacht entgegen dem Münchner Abkommen die Rest-Tschechei, Deutschland erklärt die Tschechei zum Reichsprotektorat. Von den rund 120.000 Juden der böhmischen Länder ermorden die Nazis 78.000 , verschleppen eine unbekannte Zahl ins KZ Theresienstadt und in andere Arbeitslager, ermorden 8000 Tschechen. Die von Beneš 1940 gegründete Exilregierung plant noch während des Krieges die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei.
Die Rote Armee befreit mit intensiver Unterstützung der tschechoslowakischen Legionen Tschechien, besetzt Prag und beendet den Kampf des tschechoslowakischen Widerstands gegen das Naziregime.
In Tschechien folgen Racheakte gegen die Sudetendeutschen, Massenflucht sowie Abschiebung und Vertreibung auf der Basis der Beneš-Dekrete. Tschechen ermorden ein unbekannte Zahl ihrer deutschen Mitbewohner und vertreiben 1945 - 1946 ca. drei Millionen Deutsche.


Deutsche in der Tschechoslowakei







Im Pflaster vor dem Treppenaufgang zum Nationalmuseum ein seltsames Gebilde in Kreuzform, Gedenkstätte für "Fackel 1" ...


Jan Palach (1948 - 1969)

und Jan Hus (siehe ), beide verbrannt. Jan Hus eingebrannt ins tscheschiche Nationalgedächtnis. Und Jan Palach?
Freiheit ist so normal für mich, dass ich nur noch selten darüber nachdenke:
Ich bin in einem Land aufgewachsen, das Unfreiheit, zumindest politische, nicht kannte. Ich durfte und darf sagen, was ich will, schreiben, was ich will, diskutieren, worüber ich will. Ja, es mag Einschränkungen geben - Geldmangel, kulturelle Tabus, Dienstanweisungen usw. - aber grundsätzlich fühle ich mich frei.
Manchmal allerdings frage ich mich, wie viel mir diese Freiheit überhaupt wert ist. Würde ich, wenn sich die Schatten der Diktatur auf unsere Gesellschaft legt, für meine Freiheit, die für mich vorher so normal war wie die Luft zum Atmen, kämpfen? Oder würde ich mich in die hinterste Ecke meiner Wohnung verkriechen, mich ins Private zurückziehen und vor der Situation kapitulieren?
Jan Palach hat gekämpft - auf eine Art, die in ihrer Verzweiflung und Endgültigkeit für mich heute unvorstellbar scheint: Am 16. Januar 1969 betritt der 20-jährige Geschichtsstudent den Prager Wenzelsplatz, öffnet einen Kanister mit Benzin, übergießt sich mit der stechend riechenden Flüssigkeit, entzündet ein Streichholz und setzt sich in Flammen.

Wenige Monate zuvor war der Prager Frühling, der Versuch der tschechoslowakischen Kommunistischen Partei, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" umzusetzen, von der Sowjetunion militärisch niedergeschlagen worden. Ein Schleier der Hoffnungslosigkeit hatte sich über das besetzte Land gelegt. Jan Palach sah nur noch diesen einen, extremen Weg, um die Öffentlichkeit wach zu rütteln.
Der junge Mann wurde zu einem modernen Märtyrer, einem Symbol des Widerstands gegen die Besatzung, gegen die Unfreiheit. Eine spannende Persönlichkeit - ...
Es ist sein Erbe, das, was seine Tat in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat, was die polnische Regisseurin Agnieszka Holland ("Hitlerjunge Salomon") interessiert. Holland, eine Zeitgenössin Palachs, studiert damals an der Prager Filmhochschule und ist selbst in der Studentenbewegung aktiv.
Ihrer Film-Serie "Burning bush" von 2013, gesendet 2014 auf ARTE, gelingt es, die beklemmende Stimmung in einem Land einzufangen, das sich in einem gewaltigen Kraftakt aufgebäumt hat, um frei zu sein - und dessen Hoffnungen brutal niedergeschlagen wurde...


So schreibt Jens Wiesner zu dem eindringlichen Film-Dreiteiler von Agnieszka Holland über Jan Palachs Tat und was die Infamie einer diktatorischen Staatsmacht daraus macht.
Jan wächst in Všetaty, einem kleine Ort nördlich Prags auf, wo sein Vater stirbt als er 13 ist - aus Traurigkeit über die Enteignung und Verstaatlichung seiner Konditorei.
Jan, ein ruhiger, zurückgezogener, introvertierter Mensch, politisch aber hellwach, studiert in Prag. Der "Prager Frühling" wühlt ihn auf. Jene Zeit zwischen Januar und August 1968, als Tschechen und Slowaken mit Alexander Dubcek einen "dritten Weg" beschreiten wollen.
Am 21. August marschieren Truppen des Warschauer Pakts ins Land ein und zermalmen jede Hoffnung unter ihren Panzerketten. Dubcek und Genossen werden nach Moskau verschleppt, genötigt, die "brüderliche Hilfe" abzusegnen und dem "zeitweiligen Aufenthalt" (der mehr als 20 Jahre währt) der Sowjets im Lande zuzustimmen - der Westen tatenlos.
Und da brennt im Januar 1969 Jan Palach.

Ein Angestellter der Straßenbahn reißt sich geistesgegenwärtig den Mantel vom Leib und versucht, die Flammen, die sich rasend schnell durch die Kleidung des 21-Jährigen fressen, zu ersticken. Ein Krankenwagen bringt den Schwerstverletzten in eine nahe Klinik. Dort schwört Palach unter höllischen Schmerzen: "Ich bin kein Selbstmörder!" Die Botschaft in seiner Tasche, gezeichnet als "Fackel Nummer eins", (von der Polizei totgeschwiegen - von Freunden in Prag plakatiert) lautet:

"Da unser Land davor steht, der Hoffnungslosigkeit zu erliegen, haben wir uns dazu entschlossen, unserem Protest auf diese Weise Ausdruck zu verleihen, um die Menschen aufzurütteln. Unsere Gruppe ist aus Freiwilligen gebildet, die dazu bereit sind, sich für unser Anliegen selbst zu verbrennen. Die Ehre, das erste Los zu ziehen, ist mir zugefallen, damit erwarb ich das Recht, den ersten Brief zu schreiben und die erste Fackel zu entzünden."
Die Nachricht stellt in Aussicht, dass „weitere Fackeln in Flammen aufgehen würden”, wenn nicht die Zensur wieder aufgehoben und die Verbreitung der Zprávy (Nachrichten), eines unter sowjetischer Kontrolle verfassten und in der DDR gedruckten Nachrichtenblatts, eingestellt werden würde.

Zahlreiche Tschechen zünden sich unter Berufung auf Palach an.
Jan Palach erliegt seinen starken Verbrennungen. Am Tag davor teilt er einem Arzt mit, dass es seine Pflicht gewesen sei, so zu handeln, und dass er es nicht bereue. Der Arzt später: Palachs Verstand war klar und logisch.
Eine Psychologin der tschechoslowakischen Staatssicherheit verhört Palach. Bis zu seinem Tod verweigert er Schmerzmittel, um bei Bewusstsein zu bleiben.
Noch am Nachmittag des Todestages von Palach strömen etwa 200.000 Menschen auf dem Wenzelsplatz zusammen, um an der Stelle, wo Palach brannte, Kränze niederzulegen. Die Menge begibt sich zur Karls-Universität, wo sie den „Platz der Roten Armee” durch das Auswechseln der Schilder in „Jan-Palach-Platz” umbenennt, von der Staatsführung umgehend rückgängig gemacht, 1989 bestätigt.
Das Zentralkomitee der KPČ stellt Palachs Tat als Handlung eines psychisch kranken oder nicht aus freien Stücken handelnden Menschen hin bzw. behauptet, Palach habe sich mit einer – aus Westdeutschland bezogenen – Mixtur überschütten wollen, die auch unter Feuerschluckern Verwendung findet und keine ernsthaften Verbrennungen anrichten konnte. Jedoch hätten seine Kommilitonen ohne sein Wissen die Mixtur durch Benzin ersetzt.

Palachs Begräbnis ist eine Massendemonstration mit über 10.000 Menschen, Palach ist Märtyrer und starke Symbolfigur einer freien Tschechoslowakei - noch immer:
Im Frühling 2003 verbrennen sich sechs junge Menschen, einer von ihnen, Adamec, bezieht sich in seinem Abschiedsbrief ausdrücklich auf Jan Palach, und: Demokratie sei nichts weiter als die Herrschaft von Beamten, Geld und Unterdrückern des Volkes.
Ist die "Fackel Nummer eins" verloschen? Milos Rejchrt, Sprecher der ehemaligen Bürgerrechtsbewegung Charta 77: "Schon ein halbes Jahr später sprach niemand mehr über Palach. ... Anfang der 1970er-Jahre wurde der freie Samstag eingeführt, den die Menschen auf ihrem Wochenendgrundstück verbrachten. Die Tschechen haben sich ins Private zurückgezogen, dies genossen und an Jan Palach keinen Gedanken mehr verschwendet."
Ein Journalist: Tschechen und Slowaken seien recht schnell zufrieden damit gewesen, "dass die Russen gekommen sind, dass Ordnung einzog, dass nicht die Sudetendeutschen ins Land gekommen sind."
Logische Kette: Münchner Abkommen 1938, die Westmächte werfen die Tschechoslowakei Hitler zum Fraß vor. Edvard Beneš, der im Exil lebende Präsident, schließt den Pakt mit Stalin, nachdem die Westmächte Prag verraten haben. Nach dem Krieg wählen Tschechen mehrheitlich die Kommunisten, als einzige in Mittelosteuropa. Folge 40 Jahre kommunistische Herrschaft, wovon heute niemand mehr in Tschechien spricht. 1989 wollen die Dissidenten um Havel am Denkmal des Heiligen Wenzel, wo Palachs schreckliche Selsbstverbrennung geschieht, Blumen niederlegen. Sie werden verhaftet und eingekerkert, andere niedergeknüppelt. Die Proteste gehen weiter, im November 1989 bricht das kommunistische Regime zusammen.


Dagmar Burešová

übrigens, junge Rechtsanwältin und Hauptfigur in "Burning bush", die mutig und riskant die Interessen von Jan Palachs Famile gegen das kommunistische Regime vertritt - ebenso wie die auch anderer Dissidenten (darunter Milan Kundera und Ivan Medek) - wird erste Justizministerin der freien Tschecholsowakei.













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