Vorsicht
Die Kastanien blühn.
Ich nehme es zur Kenntnis,
äußere mich aber nicht dazu.

Was ist geschehen?
Warum erscheint uns der Satz,
daß ein Gespräch über Bäume fast schon ein Verbrechen ist,
heute fast schon selbst verbrecherisch?
Weil es nicht mehr sicher ist,
ob es in hundert Jahren überhaupt noch Bäume geben wird.



Bert Brecht * 1898 Erich Fried * 1921

Gedichte über Bäume - Verbrechen?

AN DIE NACHGEBORENEN

1
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

Das arglose Wort ist töricht. Eine glatte Stirn
Deutet auf Unempfindlichkeit hin. Der Lachende
Hat die furchtbare Nachricht
Nur noch nicht empfangen.

Was sind das für Zeiten, wo
Ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist
Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Der dort ruhig über die Straße geht
Ist wohl nicht mehr erreichbar für seine Freunde
Die in Not sind?

Es ist wahr: ich verdiene noch meinen Unterhalt
Aber glaubt mir: das ist nur ein Zufall. Nichts
Von dem, was ich tue, berechtigt mich dazu, mich satt zu essen.
Zufällig bin ich verschont. (Wenn mein Glück aussetzt
Bin ich verloren.)

Man sagt mir: iß und trink du! Sei froh, daß du hast!
Aber wie kann ich essen und trinken, wenn
Ich es dem Hungernden entreiße, was ich esse, und
Mein Glas Wasser einem Verdurstenden fehlt?
Und doch esse und trinke ich.

Ich wäre gerne auch weise
In den alten Büchern steht, was weise ist:
Sich aus dem Streit der Welt halten und die kurze Zeit
Ohne Furcht verbringen
Auch ohne Gewalt auskommen
Böses mit Gutem vergelten
Seine Wünsche nicht erfüllen, sondern vergessen
Gilt für weise.
Alles das kann ich nicht:
Wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten!

2
In die Städte kam ich zu der Zeit der Unordnung
Als da Hunger herrschte.
Unter die Menschen kam ich zu der Zeit des Aufruhrs
Und ich empörte mich mit ihnen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Mein Essen aß ich zwischen den Schlachten
Schlafen legt ich mich unter die Mörder
Der Liebe pflegte ich achtlos
Und die Natur sah ich ohne Geduld.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit
Die Sprache verriet mich dem Schlächter
Ich vermochte nur wenig. Aber die Herrschenden
Saßen ohne mich sicherer, das hoffte ich.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

Die Kräfte waren gering. Das Ziel
Lag in großer Ferne
Es war deutlich sichtbar, wenn auch für mich
Kaum zu erreichen.
So verging meine Zeit
Die auf Erden mir gegeben war.

3
Ihr, die ihr auftauchen werdet aus der Flut
In der wir untergegangen sind
Gedenkt
Wenn ihr von unseren Schwächen sprecht
Auch der finsteren Zeit
Der ihr entronnen seid.

Gingen wir doch, öfter als die Schuhe die Länder wechselnd
Durch die Kriege der Klassen, verzweifelt
Wenn da nur Unrecht war und keine Empörung.

Dabei wissen wir ja:
Auch der Haß gegen die Niedrigkeit
Verzerrt die Züge.
Auch der Zorn über das Unrecht
Macht die Stimme heiser. Ach, wir
Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit
Konnten selber nicht freundlich sein.

Ihr aber, wenn es soweit sein wird
Daß der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unsrer
Mit Nachsicht.

Bert Brecht



GESPRÄCH ÜBER BÄUME

Für K. W.

Seit der Gärtner die Zweige gestutzt hat
sind meine Äpfel größer
Aber die Blätter des Birnbaums
sind krank. Sie rollen sich ein

    In Vietnam sind die Bäume entlaubt

Meine Kinder sind alle gesund
Doch mein jüngerer Sohn macht mir Sorgen
er hat sich nicht eingelebt
in der neuen Schule

    In Vietnam sind die Kinder tot

Mein Dach ist gut repariert
Man muß nur noch die Fensterrahmen
abbrennen und streichen.
Die Feuerversicherungsprämie
ist wegen der steigenden Häuserpreise erhöht

    In Vietnam sind die Häuser Ruinen

Was ist das für ein langweiliger Patron?
Wovon man auch redet
er kommt auf Vietnam zu sprechen!
Man muß einem Ruhe gönnen in dieser Welt:

    In Vietnam haben viele schon Ruhe
    Ihr gönnt sie ihnen

Erich Fried



ZWEI FEHLEER

Ich gebe zu, seinerzeit
habe ich mit Spatzen auf Kanonen geschossen.

Daß das keine Volltreffer gab,
sehe ich ein.

Dagegen habe ich nie behauptet,
nun gelte es ganz zu schweigen.

Schlafen, Atemholen, Dichten:
das ist fast kein Verbrechen.

Ganz zu schweigen
von dem berühmten Gespräch über Bäume.

Kanonen auf Spatzen, das hieße doch
in den umgekehrten Fehler verfallen.

Hans Magnus Enzensberger



EIN BLATT, BAUMLOS
für Bertolt Brecht:

Was sind das für Zeiten,
wo ein Gespräch
beinah ein Verbrechen ist,
weil es soviel Gesagtes
mit einschließt?

Paul Celan





Drei Gedichte in epochalem Sound.
Drei Gedichte zu Zeitenwenden, drei Gedichte intertextuell verknüpft.
„An die Nachgeborenen“, lyrisches Testament Brechts, hat wie kein anderes Gedicht ein vergleichbares Echo gefunden. Geschrieben im dänischen Asyl zwischen 1934 und 38, stellt Brecht es ans Ende seiner Gedichtsammlung Svendborger Gedichte.
Der Kapitalismus hat uns zum Kampf gezwungen. Er hat unsere Umgebung verwüstet. Ich gehe nicht mehr „im Walde vor mich hin“, sondern unter Polizisten ...Es ist keine Frage: die Literatur blüht nicht, aber man sollte sich hüten, in alten Bildern zu denken.“, so der Eintrag 1937 in sein Arbeitsjournal.
Durch Gestalt und Wachstum symbolisieren Bäume die Entwicklung des Menschen und mit ihrer grünen Farbe das vegetative Leben der Natur. Die Gestalt des Baumes mit seinen Wurzeln in der Erde, dem aufsteigenden Stamm und der zum Himmel strebenden Krone ist ein Sinnbild für die Verbindung zwischen Himmel und Erde.
Und das wusste schon Karl Valentin:

Zwei Knaben stiegen auf einen Baum,
sie wollten Äpfel runterhaun;
am Gipfel drobn wurd's ihnen klar;
dass das a Fahnenstange war.

Die Krone der Bäume steht symbolisch für den Zusammenhang mit dem Weltbild einer Kultur, indem sie auf die geistige Dimension, der Stamm auf das irdische Leben der Menschen und die Wurzel auf die Unterwelt verweist. Auch das weiß Karl Valentin:

Der Baum
Unten breitet er sich aus,
oben wächst er heraus,
aus.

C. G. Jung zählt folgende Bedeutungsaspekte auf: "Die durchschnittlich häufigsten, auf den Sinn bezüglichen Assoziationen sind wohl Wachstum, Leben, Entfaltung der Form in physischer und geistiger Hinsicht, Entwicklung, Wachstum von unten nach oben (der Mutteraspekt (Schutz, Schatten, Dach, Früchte zur Nahrung, Lebensquelle, Festigkeit, Dauer, Verzweiflung, auch: nicht-von-der-Stelle-können), Alter, Persönlichkeit und schließlich Tod und Wiedergeburt".

Die Märchen der Menschheit sind voller Symbolbezüge zwischen Menschen und Bäumen. Etwa der Apfelbaum von Frau Holle, der geschüttelt werden möchte, damit die reifen Früchte zu ernten sind. Im "Tannenbaum" vergleicht Andersen den unzufriedenen Menschen mit einem Baum, der durch sein Streben nach falschem Glanz ins Verderben stürzt. Die Identität von Mensch und Baum und die damit verbundenen Möglichkeiten zur Selbsterkenntnis erzählt das Märchen "Die zwei Brüder". Der eine der beiden kann den anderen nicht direkt erkennen, sondern nur durch die Symbolik des Baumes. So verschafft der Baum den Zugang zu dem unbewussten Anteil in sich selbst, der bisher auf den Bruder projiziert wurde.
Im Brauchtum gibt es eine weit verzweigte Symbolik der Bäume als Maibaum und Weihnachtsbaum. Letzterer hat sich erst im 19. Jh. eingebürgert und geht auf den alten Brauch zurück, in den sogenannten Rauhnächten (25. Dezember bis 6. Januar) grüne Zweige in den Häusern aufzuhängen und Kerzen anzuzünden, um dunkle Mächte abzuwehren.
Mit den Revolutionen bekam der Freiheitsbaum symbolische Bedeutung - zuerst im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg aufgestellt und später bei den Revolutionen in Frankreich und 1848 in Deutschland.
Die Blätter der Bäume haben durch ihre Sauerstoffproduktion für den Bronchial-Baum des Menschen und die Lungen aller Lebewesen existenzielle Bedeutung, indem alle Luft zum Leben brauchen. Ferner gibt es eine Ähnlichkeit zwischen den Strukturen unseres Ader-Systems und der Verästelung in den Nerven.
Uraltes Symbol der Genealogie ist wörtlich der "Stammbaum", entweder eine Nach- oder Vorfahrentafel für die Ab-"stamm"-ung.
In der Traumarbeit bedeuten gesunde und blühende Bäume gesundes Leben, ein abgehauener und sterbender Baum auf die notwendige Auseinandersetzung mit Sterben und Tod.

Quelle:

Die Exillyrik von Brecht ist Inbegriff des Abwendens von der Schilderung der schönen Natur geworden. Reinhold Grimm (anm3 Bertolt Brecht) bezeichnet diesen Prozess des Aufgabenwechsels in Brechts Lyrik als „Evokation durch Negation“, wobei das Evozierte doch in der Vorstellung anwesend bleibt und sich einer Maske und zahlreicher Symbolen bediene. Die Unzufriedenheit und der Protest gegen den Nationalsozialismus und der Appell an die kommende Generationen sind durchgängig im ganzen Gedicht zu lesen ( Anm. 4 Nona Mamiseishvili: Der Baum als Symbol in Bertolt Brechts Exilgedichten)

Auf den ersten Blick erscheint uns Bertolt Brecht nicht als ein Dichter der Naturhin- wendung, sondern eher als ein Dichter der Naturabwendung. Brecht selbst konzipiert seine Gedichte als einen Versuch, den Bedürfnissen seiner Zeit zu entsprechen. Er sieht seine Lyrik im „Gesamtplan" seiner Dichtung.1 In dem vielzitierten Aufsatz „Kurzer Bericht über 400 junge Lyriker" aus dem Jahr 1927 erläuterte Brecht seine Auffassung vom „Gebrauchswert", den ein Gedicht haben müsse: Nach seiner Auffassung „[...] werden solche ,rein' lyrischen Produkte überschätzt. Sie entfernen sich einfach zu weit von der ursprünglichen Geste der Mitteilung eines Gedankens oder einer auch für Lremde vorteilhaften Empfindung."1) 2) Dies und der dokumentarische Wert, den er einem Gedicht zubilligt, läßt sich durch sein gesamtes lyrisches Schaffen verfolgen. Jan Knopf kritisiert darum die Interpretation der Lyrik Brechts nach der herkömmlichen Methode als persönlichen Ausdruck oder als ein Transportmittel ideologischer Botschaften.3 Brecht betont, daß es ihm nicht „um einen Protest gegen die Glätte und Harmonie des konventionellen Verses [gehe], sondern immer doch schon um den Versuch, die Vorgänge zwischen den Menschen als widerspruchsvolle, kampfdurchtobte, gewalttätige zu zeigen." Bertolt Brecht, Arbeitsjournal vom 16.8.1938, in: ders., Arbeitsjournal. 2 Bände: 1938-1955. Frankfurt/M. 1974, S. 119. 1) Bertolt Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, hg. v. Werner Hecht, Jan Knopf, Werner Mittenzwei u. Klaus-Detlef Müller. Frankfurt/M. 1988-2000. 30 Bände und ein Registerband, hier Bd. 21, S. 191. Im folgenden abgekürzt als GBA. 2) Jan Knopf, Brecht Handbuch. Lyrik, Prosa, Schriften. Eine Ästhetik der Widersprüche. Stuttgart 1984, S. 1. 4 Bertolt Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden, hier Bd. 19. Frankfurt/M. 1967, S. 397. 3) Bertolt Brecht, Gesammelte Werke in 20 Bänden, hier Bd. 19. Frankfurt/M. 1967, S. 397.

Das Symbol „Baum“ in literarischen Texten ist die bildhafte Vorstellung als Präsentation oder Repräsentation von Natur.
Bertolt Brecht (1898- 1956) schrieb das Gedicht „Schlechte Zeit für Lyrik“ 1939 im Exil während des Nationalsozialismus in Deutschland. Er drückt in ihm seinen inneren Konflikt zwischen der Begeisterung über die Schönheit und Idylle der Natur und dem Entsetzen über die politische Situation aus, und wie sich dieser auf sein Schreiben auswirkt.
Das Gedicht ist in drei Teile untergliedert. Im ersten Teil beschreibt der Dichter, dass eine „finstere Zeit“ herrscht. Er beschreibt sie mit Unempfindlichkeit, mangelnder Redefreiheit und der großen Spanne zwischen Armut und Reichtum.
Der erste Teil des Gedichts wird umrahmt von der Aussage über das Leben in finsteren Zeiten (Zeilen 1 und 30). In den Zeilen 6–8 wendet sich Brecht gegen die, die die „Untaten“ des Nationalsozialismus verschweigen, indem sie den traditionellen Themen der Lyrik verhaftet bleiben, z. B. der Naturdichtung. Für Brecht ist „das arglose Wort töricht“ (Z.2) geworden; die Dichtung hat ihre Unschuld verloren und muss nach neuen, aktuellen Themen und nach einer neuen Sprache suchen, die ihrer Zeit angemessen ist und der Bedrohung durch Diktatur und Unterdrückung nicht ausweicht. Der zweite Teil des Gedichtes beschreibt, wie das lyrische Ich sich selbst in dieser „finsteren Zeit“ verhält. Es geht respektlos mit Liebe, Natur und Leben um.
Der dritte und letzte Teil des Gedichtes appelliert an die nächsten Generationen. Das lyrische Ich warnt davor, nicht wie seine Generation zu handeln, sondern aus den Fehlern der letzten Generation zu lernen.
Das Gedicht besteht insgesamt aus 13 Strophen ohne Reimschema.
Der erste Teil des Gedichtes besteht aus fünf Strophen. Der einleitende Satz (Zeile 1) erscheint wie eine Erkenntnis, was durch das „Wirklich“ deutlich gemacht ist. Das lyrische Ich hat nachgedacht und ist zum Ergebnis gekommen, dass keine gute Zeit herrscht, was das weitere Merkmal einer Erkenntnis beweist: Das Ausrufezeichen am Ende des Satzes, das noch einmal die Wichtigkeit dieser Erkenntnis betont. In den nächsten Versen der ersten Strophe wird erklärt, dass diese finstere Zeit noch gar nicht erkannt wurde. Wörter wie „töricht“ (Zeile 2), „Unempfindlichkeit“ (Zeile 2) und „Der Lachende“(Zeile2) bestätigen die mangelnde Erkenntnis über den Ernst der Lage.
In den nächsten drei Strophen wird die Ungerechtigkeit zwischen den Leidenden und Zufriedenen beschrieben. Die eigene Lage wird als Glück beschrieben, das sich aber ganz schnell wieder ändern kann. „Wenn mein Glück aussetzt /bin ich verloren“ (Zeile 15)
In der letzten Strophe des ersten Teils denkt das lyrische Ich über den Begriff „weise“ nach. Es bezieht sich auf die früheren Auslegungen und Bedeutungen des Wortes „weise“. „In den alten Büchern steht / was weise ist“ (Zeile 23) Hier merkt man sehr gut, dass Brecht seine Ideale mit einbringt und sie als Lösung für die Probleme sieht. Die Ideale, wie zum Beispiel ,Böses mit Gutem zu vergelten“ (Zeile 27) kommen aus der Bibel, die Bertolt Brecht mitunter sehr geprägt hat.

Baummotiv: