W. G. Sebald

Schier unlöslich durcheinander gehende, ungeheuerlich verwinkelte Wege und Umwege der Gedanken und Phantasie würden wir, schreibt Comenius, erkennen, wenn es uns gegeben wäre, in einem Menschenherz zu lesen.
W. G. Sebald, trotz seines überschaubaren Werks der wohl bedeutendste Schriftsteller der Neuzeit in deutscher Sprache, wird 1944 in Wertach geboren. Seine Vornamen Winfried und Georg mag er nicht, er lässt sich von seinen Schülern, Kollegen und Freunden Max nennen.
Winfried (oder Bonifatius), einer der bekanntesten Missionare und St. Georg, der Drachentöter - so recht passen sie wahrlich nicht zum Icherzähler seiner Schöpfungen, der immer auch Sebald ist.
W und G, die aus dem Allgäuer Innerfern vertriebenen Dioskuren, wollen Licht ins Dunkel bringen, irren durch das Labyrinth der Welt.
Weiter und weiter.
Als sie am Heimatland verzweifeln, das W als Apostel der Deutschen ein gutes Jahrtausend zuvor bekehrt, gehen sie auf Umwegen zurück. Ins Angelsächsische, landen in Manchester, fliehen weiter nach Norfolk.
Viel ist W gegangen.
Über Felder gewandert, die Ordnung des Hirns bereist, die stellenweise schön, meist aber grausam ist. Fürchtet auf diesen Fahrten den Verstand zu verlieren.
Und wo er auch hin kommt, immer ist er schon da, Georgius Miles.

St. Georg, Lindenhardter Altar

In fränkischen Kirchen, auf Pisanellos farbigen Fresken, am Friedhof zu Wertach, im Vornamen Stellers.
Rückgewandte Träume der Heimatlosen, wie weit denn müssen wir zurück, um den Anfang zu finden?
Vereinen sich beide glücklich zu Max, der an der UEA, University of East Anglia lehrt, den britischen Pfarrhausgarten in Poringland bestellt. Und Max, wenn auch WG als Autoren zeichnen, dichtet sein Werk in der Sprache der Frau, die ihren Buben gebar in der Mansarde des Seefelder Hauses.

Grünewald und Sebald

Il ritorno di Girgio al patria.
Nach einer besonders unguten Zeit fährt Max 1980 nach Wien, trifft Ernst Herbeck, der auch krank an der Seele, in ihm den vaterlandslosen Ulysses erkennt, der nach 20 Jahren dort, wo er hin gehört, landet. Rot, schreibt Herbeck, Rot ist die Wirklichkeit und der Herbst. Rot sind manche Blaue Blätter.
Es heißt,
schreibt WG, daß Napoleon farbenblind war & Blut für ihn so grün wie Gras.
Und England,
schreibt Ernst an Max, ist bekanntlich eine Insel für sich. Wenn man nach England reisen will braucht man einen ganzen Tag.
For years now versucht W vergeblich G zu entkommen.
Hat oft und oft den Tod im Verkehr beschworen:
An zwei Orten erfassen beinahe Kraftfahrzeuge Ernst Herbeck und ihn beim Überqueren der Fahrbahn, in Verona dasselbe Ereignis; und nach der Landung in Newark kommt er um Haaresbreite ab von der Straße, als der über einem dort aufgeworfenen wahren Riesengebirge aus Müll wie ein Untier aus grauer Vorzeit schwerfällig sich in die Luft erhebende Jumbo ihn ablenkt.
Auf der Heimfahrt zurück nach Eger von Marienbad, wo er mit ihr schaut ins dämmernde Jenseits: Phantasien von einem tödlichen Unfall
1973 schreibt der 1944 Geborene und mit 57 Verunglückte im Oktober einem Freund:
Bei uns ist ja schon der halbe Faden abgewickelt. Kein Wunder daß er durcheinander kommt.
Max zitiert Chateuabriand, was der über seine Bäume schrieb - und meint sich: die er gepflanzt hat und von denen er jeden einzelnen umsorgt mit eigener Hand. Jetzt sind sie noch so klein, daß ich ihnen Schatten spende, wenn ich zwischen sie und die Sonne trete. Aber später einmal, wenn sie aufgewachsen sein werden, werden sie mir den Schatten zurückgeben und meine alten Tage behüten, wie ich sie behütet habe zu ihrer Jugendzeit. Wie Kinder kenne ich sie alle bei ihren Namen und wünsche mir nur, dass ich einmal sterben darf unter ihnen.

Saturn versagt ihm die Erfüllung dieses Wunsches: Göttin Lua schickt einen LKW nach Poringland, mit dem Sebald kollidiert.








W. G. Sebald 1944 - 2001