Robert Havemann Florian Havemann

Was für Leute?!
Pate: Kafkas Brief an den Vater

Großvater Hans Havemann
geboren 1887, Lehrer, Chefredakteur, Dichter, NSDAP-Mitglied, völkischer Philosoph, Wendehals ... 1914 bis 1924 Gymnasiallehrer in Bielefeld, ab 1926 bei den Westfälischen Neuesten Nachrichten. Nach dem Krieg kann er nicht schnell genug in die SED eintreten und arbeitet an der Deutschen Akademie der Wissenschaften auf dem Gebiet der Geologie, stirbt 1985.

Vater Robert Havemann

Robert Havemann geboren 1910, gestorben 1982, Kommunist, Chemiker, Widerstandskämpfer gegen die Nazis, Stasi-Spion, Gerechter unter den Völkern, Antisemit, gefälschte KPD-Mitgliedschaft, Volkskammerabgeordneter.
1937 bis 1943 wissenschaftliche Arbeit zu einem Giftgas-Projekt des Heereswaffenamtes. 1943 vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler wegen Hochverrats zum Tode verurteilt, Vollstreckungsaufschub bis Kriegsende, weil an kriegswichtiger Forschung beteiligt, im Zuchthaus setzt er seine Forschungsarbeit in einem eigens für ihn eingerichteten Labor fort.
Im Januar 1950 wegen Agitation gegen die Wasserstoffbombe der USA Berufs- und Hausverbot, Direktor des Instituts für Physikalische Chemie an der Humboldt-Universität in Ost-Berlin. 1951 Eintritt SED (fälscht rückwirkend Parteimitgliedschaft in der KPD seit 1932).
1946 bis 1963 Zusammenarbeitet mit KGB und Stasi (Deckname "Leitz"), Auftrag: ostdeutschen Wissenschaftsbetrieb aushorchen, 1964 Ausschluss aus der SED, 1965 Berufsverbot, 1976 Protest gegen die Ausbürgerung des regimekritischen Liedermachers Wolf Biermann (der mit seiner Tochter Sibylle zwei Kinder hat) aus der DDR. Hausarrest (im Jahr 2000 deswegen zwei ehemalige DDR-Staatsanwälte zu Haftstrafen verurteilt)

Sohn Florian Havemann geboren 1952, Verfassungsrichter, Künstler, Putzmann, Pazifist, Familienhistoriker, Berater Gregor Gysis.
1968 Freiheitsstrafe in der DDR, weil er gegen die gewaltsame Beendigung des Prager Frühlings protestiert.
1971 mit Freundin unter Lebensgefahr im Inneren eines Tanklasters in den Westen geflüchtet.





Enfant Perdu

Der kleine Flori Have-
Zwei-Meter-Mann, das brave
das uralt kluge Kind
Ist abgehaun nach Westen
Mit seiner derzeit Festen
- wie die wohl rüber sind?

Er ist hinüber - enfant perdu
Ach, kluge Kinder sterben früh
Von Ost nach West - ein deutscher Fall
Laß, Robert, laß sein
Nee, schenk mir kein' ein!
Abgang ist überall

Er war doch sonst kein Plattkopf
War helle unterm Haarschopf
und hatte Herz und Witz
Jetzt ist er meine Trauer
Jetzt hockt er hinter der Mauer
und glaubt, daß er vor ihr sitzt

Er ist hinüber...

Du Robert, Genosse Ganove
Sitzt da wie der letzte Doofe
voll Cognac und voll Scham
Warum mußte Flori flüchten?
Was wird bloß aus unseren Früchten?
Dein Apfel fiel weit vom Stamm

Er ist hinüber...

He, Walterchen, kalter Alter
Du großer Menschenverwalter
was sagst du zu diesem Sturz?
Na klar, du hast recht und Kanonen
Gemessen an siebzehn Millionen
ist Flori Have ein Furz

Er ist hinüber...

Der ausgeflippte Have
Hier war er ein dreister Sklave
dort macht er den linken Clown
Wer abhaut aus dem Osten
Der ist auf unsere Kosten
von sich selber abgehaun

Er ist hinüber...

Laß, laß in die Binsen gehen
Damit wir im Osten sehen
daß der, der abfällt, fällt!
Wir machen hier Sozialismus
Trotz Rotz und Stalinismus
und öffnen uns noch die Welt

Er ist hinüber...

Die DDR, auf Dauer
Braucht weder Knast noch Mauer
wir bringen es so weit!
Zu uns fliehn dann in Massen
Die Menschen, und gelassen
sind wir drauf vorbereit'

Er ist hinüber...

Ich scheiß was auf meine Lieder
Sie bringen ja nicht wieder
all, die verloren sind
Trotzalledem ich schreibe
Und singe hier und bleibe
für Flori Havekind

Er ist hinüber...

Wolf Biermann singt am 13. November 1976 in Köln "Enfant perdu" (am Vorabend seiner Ausbürgerung).

Havemann studiert in West-Berlin Bühnenbild.
2007 Eklat:
Ein Stück deutscher Geschichte, wie es so noch nie geschrieben wurde:

Selten rechnet ein Sohn so gnadenlos mit dem Vater ab. Die Kritik nennt die 1.100-Seiten-Familien-Suada Vatermord, Dokument des Größenwahns, der Niedertracht und der üblen Nachrede, Hybris, aber auch voller Weisheit und genauer Selbst- und Weltbeobachtung.
Der Sohn über den Vater: kleines, triebgesteuertes Männchen, Säufer und Weiberheld.
Verlag zieht das Buch nach wenigen Wochen zurück, Menschen sehen sich in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt. Nach drei Prozessen erscheint eine Neuauflage mit vielen geschwärzten Stellen.
Aus dem Inhalt und Fragen:
Wolf Biermann habe sich damit gebrüstet, bis zuletzt sexuelle Kontakte zu Margot Honecker gehabt zu haben (und das nur wenige Tage oder Nächte vor dem Konzert in Köln 1976).
Diether Dehm, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei: "Ich kann bestätigen, dass Biermann in prahlerischer Weise den Eindruck erweckt hat, sehr private Beziehungen zu Margot Honecker unterhalten zu haben, die ihn auch unmittelbar vor der Abreise informiert habe, dass er ausgebürgert werde, wenn er in Köln auftritt." Dafür gebe es noch drei weitere Zeugen.
Waren die Tränen des im Westen von seiner Ausbürgerung angeblich überraschten Biermann, die auf Fernsehbildern im November '76 um die Welt gingen, wirklich spontan?
Ich bin ihm seitdem wohl in herzlicher Feindschaft verbunden, aber das Feindliche geht nicht von mir aus, so Havemann heute über Biermann, der eine Zeit lang mit Florians jüngerer Schwester verheiratet war und den er als Freund des Vaters, als Nina Hagens Stiefvater (Biermann war 1965 bis 1972 der Lebensgefährte von Eva-Maria Hagen, der Mutter Nina Hagens).

Florians erste heftige Liebe: Nina Hagen.

Biermann sei am 21. August 1968, dem Ende der Prager Freiheit, abgetaucht. Er habe richtig Schiss gehabt, sich seinen Schnauzer abrasiert und versteckt. Als Jungflori Flagge zeigte. Eine späte Abrechnung? Ich rechne mit niemandem ab, außer mit mir selber. Wenn sich Biermann in meiner Geschichte verkannt fühlt, kann er dagegen klagen. Aber das wollen wir erst mal sehen.
Suhrkampverlag: "Dieses Buch ist so radikal subjektiv wie notwendig objektiv. Wir kennen in dieser Art Tatsachenroman nichts Vergleichbares. Dafür wollen wir Aufmerksamkeit gewinnen. Aber nicht in vermeidbare Rechtsstreitigkeiten geraten."
Als der Regisseur, Schriftsteller und DDR-Dissident Einar Schleef spekuliert, ob Flori Havemann ein Stasi-IM gewesen sei, besteht Florian auf einer klärenden Fußnote. Ich habe keine Streichung verlangt, bloß die Anmerkung, dass bei der Birthler-Behörde nichts gegen mich vorliegt. Natürlich habe ich da nur eine Opferakte.
Einar Schleef schreibt ja sonst noch ganz andere Sachen, er sei in mich verliebt gewesen und habe mich an den Schwanz gefasst und so weiter. Das ist zwar Quatsch, aber sowas gehört zur Freiheit der Literatur, und ich würde darauf nie juristisch reagieren!
Umgekehrt müsse ihm auch erlaubt sein, dass er als kleiner Köter an das große Denkmal Wolf Biermann pinkelt.


Florian präsentiert einen Brief seines Vater von 1933. Darin schreibt der damals 23-jährige Robert an die Eltern von der Hoffnung, dass Hitler mit allen Juden aufräumen möge, "auch wenn es Köpfe kosten sollte", ein rüder, hinterhältiger Brief.
Robert Havemann hat seinen Sohn Florian als Kind zurückgestoßen, hat den Kleinen während einer schweren Erkrankung in der Klinik monatelang nie besucht. Und hat Freunde, Frauen, seine Mätressen, gefährdet, verraten, verlassen. Florian zeigt den Vater in allem Widerspruch: als Feigling – aus egoistischem Überlebensmut.

Und niemand würde sich durch seine 1.100 Seiten kämpfen, wenn der Klatsch und Tratsch aus dem Dissidentenleben in deutschen Diktaturen nicht auch höchst unterhaltsam wäre. Florians Buch ist eine vor Hassliebe triefende Abrechnung mit dem Vater, gleichzeitig sonnt er sich in der Familien-Aura und hält das Zeichen der Sippe hoch, eben doch als treuer Sohn.
Zitate:
Ich schreibe an der Legende Havemann. Das ist der Freibrief - ich habe ihn mir selber ausgestellt.
Was ist mein Buch? Autobiografie, Biografie, Credo, Propaganda, Roman, Reklameschrift? Wahrscheinlich alles.
Ein Havemann zu sein aber bedeute, über das Normalmaß hinauszuragen, etwas Besonderes zu sein, Havemann, das ist, sich als etwas Besseres zu dünken als die anderen.
Die Wahrheit dieser Geschichten ist nicht unbedingt die der Fakten. Die Wahrheit ist meine Wahrheit. Mehr nicht.

Die ganz und gar subjektive Perspektive lässt viele unheimliche, beklemmende, rätselhafte Facetten der Geschichte des 20. Jahrhunderts aufleuchten.


Wer abhaut, haut vor sich selbst ab.
Der Glaube, dass der Sozialismus in der DDR verbessert werden könne, war von da an zerstört
- nach der Inhaftierung in der DDR.
Robert Havemann sei nie ein Freund der Arbeit gewesen, doch nach dem Bruch mit dem SED-Regime habe bei ihm "das große Nichtstun" begonnen: Er sitzt nur rum, er beginnt richtig zu trinken.
Die meiste Zeit verbringt er getrennt von seiner Familie in seinem Sommerhaus in Grünheide. Er hat zahlreiche Affären, er macht pornografische Fotos, zeugt zwei uneheliche Kinder, um die er sich nicht kümmert.
Die Familie zerfällt. Auch die Freundschaft mit Biermann zersetzt sich nach und nach. Gesellschaftlich isoliert, von Familie und Freunden verlassen stirbt er an einer alten Lungen-Tuberkulose.

Robert Havemann ist tot. Wolf Biermann aber lebt und zieht es vor zu schweigen.
Im Befreiungskrieg der Menschheit, als dessen Kämpfer sich Bier- wie Havemann verstanden, gibt es viele Fronten, und die Feinde geraten oft in sehr intimen Umgang miteinander. Vom 20. Jahrhundert versteht wenig, wer das nicht in Rechnung stellt.

Nachtrag 1: Nina Hagens bewegtes Leben



1981 Tochter Cosma Shiva. Vater: der 1988 verstorbene niederländische Gitarrist Ferdinand Karmelk.
1987 Punkhochzeit auf Ibiza mit dem 17-jährigen Musiker „Iroquois“ aus der Londoner Hausbesetzer-Szene. Nach einer Woche trennte sich das Paar.
1989 Liaison mit dem Franzosen Frank Chevalier, aus dieser Beziehung stammt ein Sohn.
1996 Heirat mit dem 15 Jahre jüngeren David Lynn. Das Paar trennt sich im Jahre 2000.
2004 Heirat mit dem 22 Jahre jüngeren dänischen Sänger Lucas Alexander Breinholm. Trennung Januar 2005.
2005 bis 2010 Liaison mit einem 28 Jahre jüngeren Physiotherapeuten aus Kanada.
Seit 1982 Vegetarierin.
2009 evangelisch-reformiert getauft.


Nachtrag 2: Wolf Biermann



Ausbürgerung: War es anders?





Nachtrag 3:
Interview mit Florian Havemann

Ich fürchte, Herr Havemann, Sie sind ein tragischer Fall.

Wie bitte? Ich bin Verfassungsrichter, habe Frau, drei Kinder, ich bin ein Künstler, ich bereite gerade eine große Ausstellung vor und ...

... Sie sind vor allem immer das: Sohn eines bekannten Vaters. Sie sind nun fast 60 - und machen das, was die meisten Menschen mit der Pubertät erledigen: sich abarbeiten am Vater, an der Mutter, an der Familie.

Künstler, hat Goethe gesagt, haben die Fähigkeit, immer wieder eine Pubertät zu erleben. Und ich habe die Fähigkeit, mich gut an meine Jugend, meine Vergangenheit zu erinnern. Ich erzähle Geschichten, bittere Momente, zum Teil furchtbare Geschichten, das Leben von drei Generationen der Familie Havemann, die in einer schrecklichen Zeit gelebt haben, diesem 20. Jahrhundert, eine Familie, die in ideologische Kämpfe gezogen wurde, eine Zeit, in der sich Privates und Politisches mischte und ...

... auf 1092 eng beschriebenen Seiten hauen Sie auf Ihren Vater Robert ein, speien Ihre Wut und Ihren Ekel gegen ihn aufs Papier, dass ...

Dass was? Was für ein Buch haben Sie gelesen?
Ihr Buch. "Havemann".

Vielleicht habe ich es nicht für Sie geschrieben. Andere Leser empfinden es anders, als eine Art Liebeserklärung, sie bewundern, wie wohlwollend, unter wie vielen Aspekten ich meinen Vater betrachte.

Wohlwollend? Am 21. August 1968, als die Warschauer-Pakt-Truppen in Prag einmarschierten und Sie - als einer der wenigen in der DDR - dagegen protestierten und verhaftet wurden, lag Ihr Vater, der Oberdissident der DDR, "ein kleines, triebgesteuertes Männchen", wie Sie schreiben, mit seiner ehemaligen Sekretärin im Bett, "die ihn alle drei Monate mal ranließ".

So war es. Warum soll ich das verschweigen? Ich mache den Menschen Havemann lebendig.

Sie machen ihn lächerlich.

Nein. Die Geschichte ist so passiert. Das ist doch wunderbar! Große Weltgeschichte passiert anders als in den Geschichtsbüchern - verrückt, bizarr, merkwürdig. Und es ist doch toll, dass der Mensch mehr ist als eine erstarrte Heldenlegende.

Ihr Vater, Robert Havemann, ist für die meisten eine Lichtgestalt.

Er ist ein Denkmal. Doch das Denkmal ist tot.

Schulen und Straßen sind nach ihm benannt, es gibt eine Havemann-Gesellschaft und ein Havemann-Archiv, er war ein Held in Ost und West.

Nochmals: Das ist die Legende. Ein Objekt blinder Liebe. Aber das ist nicht der Mensch Robert Havemann, so wie ich ihn kenne. Dieser Mensch ist viel komplexer.

Ihr Havemann sieht so aus: Er ist ein Säufer, ein Cognacschwenker, faul und träge, ein Frauenheld, einer ...

Ja, er liebte Frauen, na und? Darf man das nicht? So haben wir ihn erlebt. Was wollen Sie mit Ihrer kleinbürgerlichen Moral?

... einer mit Spaß an selbst geschossenen Pornofotos und einer unersättlichen Lust auf "junges Gemüse", die sogar nicht haltmachte vor ...

... sollen wir nun das alles durchgehen, was Sie mir da erzählen? Was soll der Quatsch?

Einer Lust, die nicht haltmachte vor der eigenen Tochter.

Das steht doch so in dem Buch nicht drin.

Doch.

Nein. Auf Seite 563 erzählen Sie, wie Carmen, Ihre damalige Freundin, einen Abend bei Robert Havemann erlebt: "Auch mein Vater und meine Schwester seien dann zu Bett gegangen ..."

Das brauchen Sie nicht alles vorzulesen.

Warum, sagen Sie mal, erzählen Sie solche unglaublichen Geschichten?

Weil sie wichtig für mich sind. Und mir ist diese Geschichte so erzählt worden. Ich muss sie erzählen, weil meine Liebe zu dieser Frau erklärt, warum ich in den Westen abgehauen bin, warum ich in der DDR verrückt geworden wäre.

Ihre Schwester sieht das ganz anders, sie möchte, dass alle Passagen mit ihr in dem Buch gestrichen werden, denn: "Wie hätte ich mir ausdenken können, dass mein Bruder fähig ist, dem Leser zu suggerieren, mein Vater und ich hätten eine inzestuöse Beziehung gehabt."

Ich suggeriere gar nichts, ich erzähle eine Geschichte so, wie sie mir erzählt worden ist.

Sie suggerieren nicht nur, Sie machen Schlimmeres: Sie verletzen mit Ihren Geschichten Menschen, Sie beuten Intimstes aus.

Nein. Ich beute niemanden aus. Machen Sie doch bitte Ihren eigenen Berufsstand nicht schlecht. Meine Schwester hat Psychologie studiert, und sie weiß doch, dass jedes Kind von seinen Eltern ein eigenes Bild hat.

"Mein Bruder", schreibt sie im "Spiegel", "muss einen anderen Vater gehabt haben."

Da ist sie nun wirklich völlig unter ihrem intellektuellen Niveau. Das löst in mir etwas aus, was ich nicht mag: Verachtung. Ich habe meine Schwester für weise, viel klüger gehalten. Die Geschichten, die ich erzähle, liegen ja Jahrzehnte zurück, sie sind im kollektiven Gedächtnis der Familie.

Auch Ihr Bruder ruft erzürnt aus: "Schweinerei!"

Ach. Das ist doch idiotisch. Er hat, soweit ich weiß, das Buch nicht gelesen. Meine Geschwister haben nun die große Chance, nein, stehen in der Gefahr, als völlige Idioten in die Literaturgeschichte einzugehen - als Verhinderer. Sie machen sich lächerlich.

Ihre Schwester will nicht mehr mit Ihnen reden.

Ja, so ist das eben, es ist schrecklich. Es gibt immer Phasen des Krieges, wo sich alle gegen mich zusammenrotten. Ich halte das aus. Und ich weiß: Mein Buch wird bleiben. Als Klaus Mann "Mephisto" schrieb, ist Gustaf Gründgens dagegen vorgegangen, der Roman wurde verboten. Heute kann jeder das ganze Buch lesen. Ein interessantes Buch wird immer seine Leser finden, es werden sich Menschen dafür einsetzen.

Und Sie haben das geschrieben - "ein interessantes Buch"?

Ich bin sehr froh, dass ich es gemacht habe. Viele Menschen halten es für ein wichtigesBuch.

Gegen Ihr Buch hat nicht nur Ihre Schwester Einwände, noch einige andere haben Einsprucherhoben. Es ist fraglich, ob Ihr Werknochmals erscheinen darf. Und falls ja - es wird auf jeden Fall schrumpfen.

Ich habe keine Ahnung, was herauskommt. Es geht letztendlich um die Zerstörung eines literarischen Werkes. Und wer das will, setzt sich ins Unrecht. Wir haben es nun mit einer Reihe juristisch unterfütterter Einsprüche zu tun. Was da im Augenblick passiert, es kommt mir so vor wie die Wiedereinführung der DDR-Zensur mit privatrechtlichen Mitteln.

Sie machen es sich verdammt einfach. Sie setzen Behauptungen in die Welt, Unterstellungen - etwa: Wolf Biermann habe in der Nacht vor seiner Ausbürgerung 1976 mit Margot Honecker geschlafen, seine Ausbürgerung sei im Grunde ein abgekartetes Spiel mit den DDR-Machthabern und ...

... ich halte das für möglich.

Biermann sagt dazu nur: "Gequirlte Scheiße!"

Er hat das Buch, sagt er, nicht gelesen. Ich lege da ein Puzzle hin, ein unfertiges Bild, Geschichten, die ich seit vielen Jahren mit mir herumtrage. Und alle, die Biermann damals kannten, alle, die um ihn herum waren, wussten: Der Mann will in den Westen. Er sehnte sich nach dem großen Auftritt.

Sie operieren mit Unterstellungen.

Ich denke mir doch nichts aus. Nochmals: Ich erzähle Geschichten, Erinnerungen, es sind meine Erinnerungen.

Und wenn sich die Betroffenen Ihrer Geschichten wehren, weil sie das Erlebte anders erinnern, sagen Sie einfach: Das sind Geschichten, die mir so erzählt wurden, ich sehe sie so.

Ja, aber ich benenne ja auch meine Zweifel, ich sage sogar: Es ist ein egoistisches, ein vollkommen egozentrisches Buch, ein ungerechtes sicher, ein für viele verletzendes auch. Es ist Literatur. Ich transportiere Haltung. Wenn man so ein Buch schreibt, muss man - leider - mit Einsprüchen rechnen. Aber diese Einsprüche sind für mich auch ein Zeichen von Dekadenz.

Was meinen Sie denn damit?

Ich habe das Gefühl, dass viele Leute die Wirklichkeit nur noch wattiert ertragen. Sie halten andere Ansichten nicht aus, ertragen Widersprüche nicht mehr - geistige Schwäche greift um sich. Ganz schnell wird geklagt. Aber sie werden dieses Buch nicht totkriegen. Es ist da, und es wird leben - allen Kleingeistern zum Trotz.

STERN 1.1.2008

Nachtrag 4: Video 1969