Die Serie handelt von drei Geschwistern,
die die Verletzungen ihrer Kindheit tief in sich vergraben haben
und nun gezwungen sind,
sich diesen Verletzungen zu stellen und sie zu überwinden,
um wirklich erwachsen zu werden.
Ich wollte eine Familienchronik mit starken Gefühlen schaffen,
in der sich jeder wiedererkennen kann.
Aber auch wenn Schmerz und Angst präsent sind,
ist die dominierende Farbe nicht zwangsläufig Schwarz.
... konzentriert sich die zweite Staffel auf zentrale Fragen
von Schuld und Identität.
Die Frage ist,
ob die Figuren,
die einander lieben,
das aber wegen innerer Schranken
nicht zulassen und zeigen können,
es schaffen,
sich einander anzunähern.

Henrik Jansson-Schweizer





Blutsbande

Blut ist dicker als Wasser (tjockare än vatten): Was hält eine Familie im Kern zusammen?
Gemeinsame Erinnerungen, Liebe und Verantwortung füreinander oder etwas viel Banaleres?
Zu welchen Taten sind Familienmitglieder fähig?

Wer mit Pkw und Fähre nach Finnland reist, kommt an den Åland-Inseln vorbei.
Auch hier haben sich unsere Vorfahren nicht mit Ruhm bekleckert:
Im Zuge der Finnland-Intervention landen unsere Truppen am im März 1918 in Åland und verschwinden im Dezember wieder sang- und klanglos.
Im September 1941 kreuzt die Baltenflotte mit dem Schlachtschiff Tirpitz in der Ålandssee, um den eventuellen Ausbruch der sowjetischen Rotbannerflotte aus Leningrad zu verhindern, 1944 plant die deutsche Kriegsmarine ein Landungsunternehmen zur Besetzung der Inseln im Kampf gegen die Sowjetunion (Unternehmen Tanne West), was scheitert - wie die Landung auf der Ostseeinsel Hochland.
Schwedisch ist einzige Amtssprache der Region, die auch fast ausschließlich von Schweden bewohnt ist, und zu Finnland gehört. Der Archipel am südlichen Eingang des Bottnischen Meerbusens mit seinen 6757 Inseln, von denen 60 bewohnt sind, ist eine der schönsten Regionen ganz Skandinaviens. Rote Felsen im Wasser, von den Gletschern der Eiszeit glatt geschliffen, bewachsen mit hellgrünen Flechten, dazwischen hügelige Kiefernwälder und ruhige Strände – der ideale Ort auch für nordisch-schwermütige Familiendramen oder Krimis, Wallander lässt grüßen ...
Angeblich haben schwedische Kritiken bemängelt, dass die für Åland typischen Eigenheiten gar nicht groß zur Geltung kämen und so ziemlich alle Hauptfiguren keinen glaubwürdigen Åland-Dialekt sprächen, sondern Stockholmer Mundart. Wir bekommen in der synchronisierten Fassung das nicht mit. In Schweden scheint der richtige Dialekt aber wirklich wichtig zu sein ...
Drehbuchautor Henrik Jansson-Schweizer, Jahrgang 1969, geboren in Upplands Väsby, einer Kleinstadt 30 km im Norden von Stockholm, bekannt durch seine Verfilmung des Romans "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand", und Schöpfer der auf ARTE gesendeten Serie "Blutsbande", bekennt:

Ausgangspunkt war für mich die Familienpension meiner Großmutter auf dem Land in Schweden, die viel mit der Pension in der Serie gemein hat. Als Kind habe ich an diesem wundervollen Ort viele glückliche Ferientage verbracht, später wurde mir jedoch klar, dass sich hinter der friedlichen, harmonischen Fassade dunkle Geheimnisse verbargen. Verdrängte Dramen und Konflikte, die in der Gegenwart immer wieder zutage traten. In gewissem Sinne geht es in der Serie also um meine eigene Familie, auch wenn Mord und Erpressung bei uns zum Glück – soweit ich weiß! – nicht vorkamen.

In jeder der zwei Brüder steckt etwas von mir, auch in Jonna. Ihre Brüder Lasse und Oskar haben aber vor allem starke Ähnlichkeit mit zweien meiner Onkel, nur dass sie eine Generation jünger sind. Auf der Filmhochschule gab mir einer unserer Professoren, der Regisseur Lars Molin, der in Schweden fast als ebenbürtig zu Bergman angesehen wird und für mich ein wenig so etwas wie mein Lehrmeister ist, einen Rat, den ich immer befolgt habe: Nach einer guten Geschichte braucht man nicht weit zu suchen, es reicht, in sich selbst hineinzuschauen.

Die Ålandinseln, auf denen die Pension Waldemar angesiedelt ist, haben viel mit den Kindheitserinnerungen von Henrik Jansson-Schweizer gemeinsam, der zwar nicht am Meer aufgewachsen ist, aber lange Sommertage mit viel Freiheit und Natur, die Schönheit, Abgeschiedenheit und beißende Kälte des Winters kennt.
In Schweden bilden "Inselgeschichten" ein eigenes Genre, so sehr stellt die Insel für jeden eine vertraute Landschaft dar. Eine solche Geschichte wollte er mit "Blutsbande" schreiben.

Und das ist ihm auf faszinierende Art gelungen.
Alte Feindschaften spielen ebenso eine Rolle wie alte Lieben, die wieder neues Leben eingehaucht bekommen. Besonders spannend der schleichende Prozess, der den Zuschauer langsam aber unerbittlich in die typisch nordische und mindestens doppelbödige Gesichte hineninzieht, reich an an düsteren Details und dunklen Ecken in den Köpfen ihrer Helden.
Aber bei aller Düsternis im Hause Waldemar ist die Serie doch kein klassischer Krimi, wie sie sonst aus Schweden kommen.

Für die einen Traumkulisse, für die anderen trostlos, die Schäreninsel.
Wäre ein deutsches Filmteam auf der Insel Åland eingefallen, um Vergänglichkeit leugnende oder überspielende Zuckerbäckerei anzufertigen, hätte man das schöne alte Gästehaus an der Felsenküste erst einmal neu gestrichen. In leuchtendem Weinrot. Oder schallend weiß.
Schweden selbst sehen ihre Heimat aderns. Seeluft und Niederschläge haben der Fassade des kleinen Inselhotels, dem zentralen Schauplatz, zugesetzt, draußen verrottet ein halbfertiger Pool, die Tapeten drinnen sind vergilbt, was umso mehr auffällt, als helle Umrisse die Stellen markieren, wo vordem Bilder hingen.

Die eigentliche Sensation ist das Ensemble, weil es die äußere Idylle mit den familiären, mit den inneren Spannungen individuell kontrastiert. Es gibt vielleicht schwache Charakter bei den Waldemars, schwache Schauspieler gibt es nicht. Jedes Familienmitglied ist ein eigener Kosmos, "Blutsbande" ist sehr erwachsenes Fernsehen.
Die drei Geschwister, allesamt virtuos gespielt, dass man oft vergisst, vor einem Spielfilm zu sitzen.
Oskar (Joel Spira), Lasse (Björn Bengtsson) und Jonna Waldemar (Aliette Opheim) sind hier aufgewachsen.

Oskar führt den Betrieb mit seiner Frau Liv (Jessica Grabowsky) und der gemeinsamen Tochter Cecilia (Saga Sarkola) sowie seiner Mutter Anna-Lisa (Stina Ekblad). Lasse und Jonna haben die Insel schon vor Jahren verlassen und jagen ihren Träumen nach. Er versucht sich als Restaurantbesitzer und hat einiges an Schulden angehäuft, sie schlägt sich als Schauspielerin durch und hat immerhin die Hauptrolle in einem Film in Aussicht.
Henrik Jansson-Schweizer lässt sich Zeit, es gibt Andeutungen, Vorwegnahmen, dann nimmt die Geschichte wieder Fahrt auf. Die Autoren enthüllen peu à peu die Geschichte dieser seltsamen Sippe, sorgen für steigende Spannung. Das mysteriöse Verschwinden des Vaters, die rätselhafte Fehde mit den Nachbarn, der Brand in Lasses Restaurant warten auf Aufklärung. Nebenbei: Das Filmvorhaben, auf das Schauspielerin Jonna Waldemar große Hoffnungen setzt, verzögert sich, weil die deutschen Koproduzenten endlos lange Entscheidungswege beschreiten. Die Schweden schmunzeln und lästern ein wenig über die deutsche Bürokratie.
Das Drama ist garniert mit Landschaftsaufnahmen, die es durchaus auch in einen Tourismusprospekt schaffen würden. In Schweden weiß man, was der Rest der Welt an Schauwerten erwartet, von dem kühlblauen Licht bis hin zu malerischen Fjordaufnahmen ist alles dabei, was das Herz des Schwedenfans begehrt.

Von wegen unbeschwerte Kindheit und schöne Erinnerungen – in der pittoresken Landschaft, die an Astrid-Lindgren-Geschichten wie die Kinder aus Bullerbü oder Ferien auf Saltkrokan erinnert, spielen sich schreckliche Dinge ab ... Ferien auf Saltkrokan es in diesem Sommer auf Åland nicht geben, so viel ist sicher.

Stand ihr Schöpfer Henrik Jansson-Schweizer seinen Figuren von Anfang an nahe?

Sie wachsen mir immer mehr ans Herz. Man kann nicht von den Zuschauern erwarten, zwanzig oder gar dreißig Stunden ihres Lebens – ich würde nämlich gern noch eine dritte Staffel schreiben – mit Leuten zu verbringen, die man selbst nicht mag. Zumal die Serie stärker von den Personen und ihrer Entwicklung getragen wird als von der eigentlichen Handlung. Bei der Figur des Lasse sind wir einem einfachen Grundsatz gefolgt: In wichtigen Momenten steht er immer vor zwei Möglichkeiten, und er entscheidet sich konsequent für die falsche. Oskar wiederum ist in einer Art geistigem Gefängnis eingesperrt und kann nicht erwachsen werden, weil er als Jugendlicher in Notwehr ihren Vater töten und dieses Geheimnis für sich behalten musste.
Auch ihre Schwester Jonna, die ein Freigeist ist und Reisen und Erfahrungen liebt, hat einen inneren Dämon: Sie kann nicht umhin, genauso zu handeln wie ihre Mutter. Nachdem deren Testament sie an den Ort ihrer Kindheit zurückgeholt hat, wird Jonna unbewusst immer mehr wie die Mutter. Falls es die dritte Staffel geben wird, die ich auf dem Papier schon begonnen habe zu entwerfen, werden Jonna und die Macht der mütterlichen Anziehungskraft, gegen die es ihr nicht in den Sinn kommt anzukämpfen, im Mittelpunkt stehen.

Henrik Jansson-Schweizer weiter:
Ich habe einige Aspekte hineingebracht, die heute allgemein als "Nordic noir" bezeichnet werden, als skandinavischer Krimi. In unseren kleinen Ländern gibt es heute im Bereich der Fiktion eine Art Wetteifer und sehr spannende kollektive Intelligenz. Zum einen liegt das daran, dass wir engagierte öffentliche Sender haben, die das Risiko eingegangen sind, auf neue Erzählformen zu setzen.
Es erklärt sich auch durch zwei relativ junge lokale Traditionen: eine gewagte Regiearbeit, die sich in der Werbung und den Videoclips der 1990-er Jahre herausgebildet hat und auf der heute das Ansehen unserer Serien beruht, und eine packende Art und Weise, Geschichten zu erzählen – mit sozialem Realismus, dem Wunsch, unter der Oberfläche kratzen, und auch einer unkonventionellen, vorzugsweise sehr düsteren, Kunst des Thrillers. Möglicherweise hängt das – verzeihen Sie das Klischee! – mit unseren endlos langen Wintern zusammen.







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