Wer wissen will, wie unse Altvorderen segelten und was sie alles wagten und entdeckten, und wie sie menschlich drauf waren, kommt an Nadolnys wunderbarem Buch nicht vorbei, das die (vergebliche) Suche nach der Nordwestpassage zum Thema hat.



Nordwestpassage: Sie verbindet auf dem 3.100 sm langen Seeweg nördlich des amerikanischen Kontinents Atlantischen und Pazifischen Ozean.
Route New York-Tokio (rot): 7.500 sm
Panamakanal-Route (grün) 9.700 sm

Auch James Cook sucht die Passage, sie ist Grund für seine letzte Pazifikreise 1776–1779, die er wegen des Wintereinbruchs abbricht. (Nach Cooks Tod in einem Handgemenge auf Hawaii übernimmt Lt. Charles Clerke das Kommando, der ebenfalls am Packeis scheitert).
Im August 2016 meldet die NASA, das Eis in der Arktis sei so stark getaut, dass Schiffe die Nordwestpassage problemlos durchfahren könnten.
Und im September 2016 meldet die Arctic Research Foundationt, sie habe die "Terror" entdeckt. Eine Sensation. Den entscheidenden Hinweis gab ein Inuit. Er erinnerte sich an einen merkwürdigen Gegenstand, der aus dem Eis ragte, als er vor sechs Jahren am Südende der Victoria Strait in einer Bucht von King William Island unterwegs war.

Die Forscher werden fündig, Unterwasseraufnahmen ermöglichen spannende Einblicke: "Man sieht die Schiffsglocke, eine Winde, das Steuerrad und eine Ummantelung, die den Rumpf schützen soll" so einer der Polarexperten. Scott Bravo, Historiker am Research Institute der Universität: "Das flache Wasser und der niedrige Salzgehalt sind gute Bedingungen, um ein Schiff dieser Art zu erhalten."
Das Wrack liegt allerdings weit entfernt von der Stelle, an der es die Männer laut ihren schriftlichen Notizen zurückgelassen haben wollen.



Keine Tragödie bewegt die Menschen so sehr wie die der Expedition von


Sir John Franklin

Sie erschüttert das britische Empire bis ins Mark und bleibt bis heute das größte Rätsel in der Geschichte der Polarforschung.
Franklin (1786 - 1847), Marineoffizier und Polarforscher, will als Erster die Nordwestpassage ganz durchsegeln. Doch seine Expedition endet in einer Katastrophe: Alle 129 Mann kommen um. Seine Schiffe "HMS Erebus" und "HMS Terror" bleiben trotz intensiver Suche verschollen. Man vermutet, dass die Mannschaft sie im Frühjahr 1848 im Eis zurückließ, wo sie sanken - in der Victoria Strait, einer Meerenge westlich von King William Island.
Ist der Fund echt? "Das ist wahrscheinlich, auch die kanadischen Behörden gehen davon aus", so Bravo. "Zudem ist die Bauart sehr ungewöhnlich, weil es sich um ehemalige Kriegsschiffe handelt. Walfänger oder Händler hätten nie so große, schwere Schiffe benutzt."

Historiker rekonstruieren die Unglücksfahrt:
Im Mai 1845 sticht die Expedition in See. Die Hoffnung ist groß, die Ausrüstung üppig. Zur Ladung gehören 4.200 Liter Zitronensaft, fast 8.000 Konserven mit Fleisch, Suppen und Gemüse, Schokolade, Tee, Wein, Rum, Bier und Tabak. Sir Franklin überwintert zweimal, dann gerät die Fahrt in der Victoria Strait ins Stocken. Der Sommer 1847 ist so hart, dass die Schiffe steckenbleiben. Kräfte, Vorräte und Hoffnungen schwinden. Es wird vermutet, dass die neuartigen Konserven an Bord zu Vergiftungen geführt haben könnten. Auch Franklin soll im Juni 1847 Opfer der Konserven geworden sein, offiziell ist seine Todesursache unbekannt. Nach einer später an Land zurückgelassenen Notiz der Mannschaft verließen die 105 Überlebenden im April 1848 die Schiffe und marschierten Richtung Back River. Ihr Ziel: ein Posten der Pelzjäger.

Einige Inuit berichteten von entkräfteten weißen Männern am Back River, die nach und nach starben und sogar ihre Toten gegessen haben sollen. Doch nun muss die Historie zumindest in Teilen umgeschrieben werden.
"Ich vermute, dass sie weiter südlich segelten als angenommen", so Bravo. Die Schiffe wurden zwar zunächst in der Victoria Strait zurückgelassen. Später jedoch kam wohl ein Teil der Männer zurück - für einen letzten Rettungsversuch per Boot. Sie gaben dann zuerst die "Terror" auf, später die "Erebus", und marschierten über das Eis - in den Tod.



Nordwestpassage



Warum ist dieser Seeweg von so eminenter Bedeutung?

1497 entdeckt Vasco da Gama den Seeweg nach Indien um das Kap der guten Hoffnung, das er im November passiert. 1494 erreicht er den indischen Hafen Calicut.
Ab da reservieren Portugiesen und Spanier den Seeweg, auf dem vor allem Gewürze, Samt und Seide traspotiert werden, für sich, die Engländer sehen sich nach anderen Routen um.
Seit Magellan 1520 einen Seeweg entdeckte, der um Südamerika herum nach Asien führt, spekulieren Geographen, Seefahrer und Forscher über eine Nordwestpassage, die die Schiffsreise zwischen Europa und Ostasien entscheidend verkürzt.
John Davis, Henry Hudson, William Baffin, Thomas James und Luke Foxe, alles englische Kapitäne, forschen nach ihr. Die Suche nach dieser Passage im Nordwesten nach Asien war übrigens auch Anlass für die letzte Pazifikreise James Cooks 1776–1779, die er wegen des einbrechenden Winters an der Beringstraße abbrechen muss.
Ebenfalls vom Pazifik aus operiert 1817/1818 die russische Rurik-Expedition unter Kapitän Otto von Kotzebue. Sie erforscht allerdings nur die bis dahin unbekannte Küste Alaskas um den Kotzebue-Sund.
Tragische Berühmtheit erlangt die verschollene oben geschilderte Expedition John Franklins.
Erst 1903 gelingt de komplette seemännische Durchfahrt Roald Amundsen durch die James-Ross-, Rae- und Simpson-Straße.
1969 bewältigt als erster Tanker das zum Eisbrecher umgebaute US-amerikanische Schiff "SS Manhattan" die Nordwestpassage von West nach Ost in wenig mehr als vier Wochen.
1993 durchsegelt Arved Fuchs mit seiner "Dagmar Aaen" die Nordwestpassage in Ost-West-Richtung und 2003/2004 noch einmal in West-Ost-Richtung.

Der Seeweg zwischen Europa und Asien (Rotterdam–Tokio) verkürzt sich:
12.600sm sind es durch den Panama-Kanal, 12.400sm durch den Suez-Kanal und nur 8.600sm durch die Nordwest-Passage. Obendrein vermeidet die Route von Piraterie betroffene Gebiete wie Gewässer rund um Indonesien oder das Horn von Afrika.
Aufgrund der extremen globalen Erwärmung ist der kanadische Teil der Passage 2011 - zum ersten Mal seit Beginn der Aufzeichnungen! - völlig eisfrei und damit schiffbar. Ursache ist ein Rückgang der Eisfläche im Nordpolargebiet auf nur noch drei Mill. qkm, eine Million Quadratkilometer weniger als 2006.
Die wirtschaftliche Erschließung der Nordwestpassage wird intensiv vorbereitet. Geplant ist die Schaffung einer Service- und Sicherheits-Infrastruktur für den Tankerverkehr.
Schon beginnt der Streit: Kanada beansprucht den Seeweg für sich, die USA sehen ihn als internationales Gewässer an...