Jahrtausende von Tinte,
nicht Blut und Boden,
haben die Juden zu einer Nation geschmiedet




Salman Schocken: Kaufhauskönig,
jüdischer Bismarck, Mäzen


Balfour Street, ruhige Straße mit viel Grün, verläuft mitten durch eines der gehobenen Wohnviertel Jerusalems. Unmittelbar gegenüber vom Amtssitz des israelischen Ministerpräsidenten, einem kalten, abweisendem Klotz aus Stein und Eisenbeton, mit Wachtürmen, Fahnen, Scheinwerfern und schwer bewaffneten, grimmig aussehenden Wachen, strahlt unmittelbar gegenüber und in scharfem Kontrast ein wahres Juwel der Bauhaus-Architektur von 1936: die elegante, wohlproportionierte Fassade der Schocken-Bibliothek.

Ende Brückenstraße, Zentrums-Magistrale in Chemnitz, vierspurig mit Straßenbahn, wo schräg gegenüber der riesige Kopf von Karl Marx prangt: Da steht der berühmte, halbrunde imposante Bau des Kaufhauses Schocken von 1930, seit 2014 Sitz eines der innovativsten archäologischen Museen Deutschlands, das smac - Staatliches Museum für Archäologie, wo auf 3.000 qm über 6.000 Exponate in drei Etagen die Menschheitsgeschichte von der Altsteinzeit bis ins frühe Industriezeitalter beleuchten.





Entworfen hat beide Gebäude Architekt Erich Mendelsohn, insternational berühmt durch seinen Potsdamer "Einsteinturm". Und wie sein Auftraggeber vor den Nazis nach Israel emigriert.

Eben dieser Auftraggeber ist Salman Schocken, "Kaufhauskönig", Selfmademan, erfolgreicher Verleger, Philanthrop - in Deutschland nahezu vergessen.
Hannah Arendt nannte ihn "jüdischen Bismarck" - er selbst sah sich eher als Kulturpapst. Denn alles verdiente Geld aus seinen Kaufhäusern investierte Schocken in Kultur: Er sammelte jüdische Texte, betätigte sich als Forschungsmäzen, Verleger und Förderer von Schriftstellern.

Geboren 1877 in Margonin bei Posnan/Polen, gestorben 1959 während einer Schweiz-Reise in Pontresina.
Er entstammt einer jüdischer Kaufmannsfamilie, gründet mit seinem Bruder Simon Kaufhausfilialen in Deutschland, u. a. in Nürnberg, Stuttgart, Chemnitz: Der Kaufhauskonzern Schocken entsteht. Sein Bruder Julius eröffnet unabhängig davon in Bremerhaven Schocken-Kaufhäuser, arbeitet aber mit Salman beim Einkauf zusammen (ALDI-Brüder lassen grüßen). 1929, nach dem Tod des Bruders, wird Salman Alleininhaber der Warenhauskette.

1910 heiratet Salman die 20-jährige Zerline (Lilli) Ehrmann, eine Jüding aus Frankfurt. Sie haben vier Söhne und eine Tochter. Der Sohn Gideon wird Haganah-Kämpfer, später General und Personal-Chef im Isralischen Vereidungsministerium.
1915 gründet er mit Martin Buber die zionistischen Zeitschrift "Der Jude", 1929 das Schocken-Institut zur Erforschung hebräischer Poesie und 1931 den Schocken Verlag, in dem u.a. die bekannte Bücherei des Schocken Verlags erscheint. Schon frühzeitg fördert er den jüdischen Schriftsteller und späteren Nobelpreisträger Shmuel Yosef Agnon. Er sichert sich die Rechte an Kafkas Werken.

Unter dem Eindruck des Nationalsozialismus (das Regime entzieht ihm die Staatsbürgerschaft) emigriert Schocken 1934 nach Palästina, wo er durch den Kauf der Tageszeitung Ha'aretz den Grundstein für das Medienunternehmen (die Schocken-Familie hält heute 60% hieran) legt. 1938 schließen die Nazis seinen Berliner Verlag zwangsweise. In Jerusalem lässt er sich von Erich Mendelsohn ein großes Wohnhaus und eine separate Privatbibliothek errichten, wird Mitglied des Verwaltungsrats der Hebräischen Universität. Die Nazis "arisieren" seine Warenhäuser in Deutschland (Merkur AG). 1940 emigriert er in die USA, 1945 gründet er Schocken Books, die als Knopf Doubleday Publishing Group at Random House firmieren und seit 1998 zu Bertelsmann gehören.
Nach dem Zweiten Weltkrieg verkauft er seine Kaufhäuser an Horten, 2014 entschädigt ein Gericht in Berlin Schokens Erben mit 50.000.000 € als Reparation für die Nazi-Enteignung.

Die Schocken-Library in Jerusalem zählt sicher, innen wie außen, zu den bemerkenswertesten Gebäuden der Stadt ..
Elegante Treppengeländer, Türklinken aus Stahl, Bücherregale aus hellem Zitrusholz, Tische, Stühle und Schirmständer, vom Bauhausstil inspirierte Wasch- und Toilettenräume, der gesamte Bibliotheksbau in klaren Linien, aus rosafarbenen Jerusalemer Sandsteinquadern gefügte Mauern, elliptisch nach außen gewölbte Fensterfronten, verglaste Treppenhäuser ...























Amon Elon beschreibt Salman Schocken als Genie des Handels mit Massenware. So hatte Schocken ein immenses Vermögen gemacht, das er in seine säkulare Vision investierte: dass Juden in ihrer eigenen nationalen Heimat leben sollen. Zur gleichen Zeit, 1935, kaufte er die bankrotte Tageszeitung Haaretz als Hochzeitsgeschenk für seinen ältesten Sohn Gustav. Das Blatt ist noch immer im Besitz der Familie, heute wird es von seinem Enkel, Amos Schocken, geleitet und ist eine - häufig einsame - Stimme der Vernunft in einem schwer traumatisierten Land.

Salman Schocken war ein rundlicher Mann von kleiner Statur, mit einem massigen Nacken und einem auffallend mächtigen Kahlkopf. Sein 1931 gegründetes dreisprachiges Verlagshaus - anfangs mit Sitz in Berlin, Jerusalem und Tel Aviv, bald auch mit Sitz in New York - war auf moderne hebräische Literatur und Judaika spezialisiert, aber sein kostbarstes Gut waren die Rechte am Gesamtwerk von Franz Kafka.
Der Beitrag, den Schocken zum säkularen jüdischen Nationalismus und zur kulturellen Identität Israels geleistet hat, lässt sich kaum ermessen. Ohne seine mäzenatischen Aktivitäten in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist die heute erreichte Blüte der modernen hebräischen Literatur kaum vorstellbar. Salman Schocken verkörperte, so berichtet sein Sohn Gustav, eine seltsame Mischung aus strengem Haustyrannen und fürsorglichem Vater, aus hartem Geschäftsmann und verträumtem Romantiker, aus preußischer Disziplin und hingebungsvoller Liebe zur Poesie. Er war assimiliert und in mancher Hinsicht "deutscher" als viele Deutsche. Aber er war zugleich ein stolzer säkularer Jude. Politisch bekannte er sich zum liberalen Lager und zuweilen sogar fast zu einem strengen Pazifismus. "Jahrtausende von Tinte, nicht Blut und Boden, haben die Juden zu einer Nation geschmiedet", meinte er einmal.


Für seinen amerikanischen Biograf Anthony David ist Schocken der Inbegriff des deutsch-jüdischen Liberalismus, "ein Symbol der deutschen Juden und ihrer erstaunlichen Vitalität". Die eigentliche Religion deutscher Juden wie Schocken sei das bürgerliche Bildungsideal gewesen. Sie richteten all ihr intellektuelles und politisches Bemühen in Deutschland - später auch in Israel - darauf, den Patriotismus zu zivilisieren, in einem auf Gesetzen, nicht auf Blut gründenden Staat.

Salman Schocken hatte den Ehrgeiz, Wissenschaftler zu finden, die aus den noch kaum erforschten Schätzen einen nationalen Mythos ans Licht heben würden. Berühmte jüdische Gelehrte und hebräische Schriftsteller wie Samuel Josef Agnon, der Kabbalaforscher Gerschom Scholem, Else Lasker-Schüler („Was soll ich hier" ist der Titel ihrer in Buchform erschienen „Exilbriefe an Salman Schocken") oder Martin Buber, der den osteuropäischen Chassidismus in Deutschland popularisierte - und noch viele andere -, bezogen von Schocken jahrelang finanzielle Zuwendungen. Ein Mäzen im besten Sinne des Wortes und eine von jenen vielen Persönlichkeiten, um die sich Deutschland ärmer gemacht hat.