Funde

























Alexis Sorbas
Nikos Kazantzakis

Wer den Film "Alexis Sorbas", berühmt durch Theodorakis' und Anthony Quinns genialen Final-Sirtaki, gesehen, gehört und begriffen hat, kennt die Griechen.

Unsere Banausen in Brüssel und den Vorstandslogen der Investoren haben das nicht, denn sonst gäbe es die griechische Dauertragödie unserer Tage nicht.

Hellas Arkadien?
Ist der faule und listige Alexis nur die Repräsentation eines Landstreichers oder eines durchschnittlichen Griechen? Sind es Klischees, von denen es über Griechenland mehr gibt, als ein Olivenbaum Früchte trägt? Früher philhelleinsche Schwärmerei von weiß-blauer Inselherrlichkeit, heute nur noch die Rede von Misswirtschaft und Korruption. Das Land der dreitausend Inseln zwischen Orient und Okzident, zwischen Mythen, Göttern und Moderne, in dessen Hauptstadt sich die Hälfte aller Griechen tummeln.
Sie sprechen die älteste Weltsprache, pflegen ein paranoides Verhältnis zur Türkei und ihren antiken Vorfahren, verteidigen selbst im permanent drohenden Staatsbankrott die Unbekümmertheit als oberste Lebensmaxime, haben immer Lust zum Streiken und die Gabe, selbst in Zeiten der größten wirtschaftlichen Krise die Kultur der Gastfreundschaft zu pflegen.
Menschenverachtendes Frauenbild, Steinigung, Lynch- und Selbstjustiz unter den Augen der Popen, Mönche als Großgrundbesitzer, Intoleranz, Abergrlauben, Fremdenhass, Suizid, grenzenloser Dilettantismus, hemmungslose Plünderei, spektakuläres Scheitern - das alles zeigen uns die filmischen Einblicke ins Leben der griechischen Insel Kreta. Ist Alexis Sorbas Adam im Garten Eden, Odysseus auf dem umtosten Plateau von Troja?
Kazantzakis, der die auf Wahrheit beruhende Buchvorlage zum Film schrieb, erzählt:

Ein Haus rauchte noch, Türen waren aus den Angeln, Schwellen blutüberströmt. Wir gelangten zu dem Platz mit dem Springbrunnen und dem Löwen. Daneben stand die große Platane. Der Vater blieb stehen, streckte die Hand aus. „Schau hin“, sagte er. Ich hob die Augen, stieß einen Schrei aus: Drei Gehängte baumelten dort, der eine neben dem anderen, barfuß, nur mit einem Hemd angetan, und die Zungen hingen heraus, ganz grün. Ich wandte den Kopf ab, ich konnte es nicht ertragen, ich umfaßte das Knie meines Herrn. Er aber packte mich am Kopf, drehte ihn der Platane zu. „Schau hin!“ befahl er wieder. Meine Augen füllten sich mit Gehängten. „Solange du lebst, sagte er, „solange du lebst, dürfen diese Gehängten nie aus deinen Augen verschwinden.“ „Wer hat sie getötet?“ „Die Freiheit, gesegnet sei sie!“
Ich war damals in Heraklion 14, wo ich das Furchtbare 1897 auf der Platia Eleftherias mit dem Morosinibrunnen ansehen musste. Wir flüchteten nach Naxos, wo wir zwei Jahre blieben. Dort besuchte ich das Franziskaner-Gymnasium, wo ich Französisch und Italienisch lernte.
Nach dem Abitur 1902 - wir waren nach Iraklion zurückgekehrt, studierte ich in Athen Jura und promovierte. 1907 ging ich nach Paris, Friedrich zog mich in Bann.
Aber im Mittelpunkt meines Denkens und meiner Gefühle stand Kreta. In einem Traum manifestierte sich dieser „Ahnherr aus der geliebten kretischen Erde, und du standest vor mir, ein strenger Edelherr mit dem spitzen, schneeweißen Bart, mit den trockenen, zusammengepressten Lippen, mit dem ekstatischen, flammenden, hochfliegenden Blick. Und dein Haar durchflochten Thymianwurzeln. Du sahst mich an, und wie du mich ansahst, spürte ich, dass diese Welt eine Wolke ist, mit Blitz und Wind geladen, und darüber weht Gott, und es gibt keine Rettung. Ich hob die Augen, ich sah dich an. Ich wollte dir sagen: „Ahnherr, gibt es wirklich keine Rettung?“ Aber meine Zunge klebte am Gaumen. Ich wollte mich dir nähern, aber meine Knie knickten ein. Du strecktest dann die Hand aus, als ertränke ich, und du wolltest mich retten. Ich hielt mich gleich an deiner Hand fest, sie war beschmiert mit bunten Farben, als ob sie malte, sie brannte, ich berührte deine Hand, schöpfte Auftrieb und Kraft aus ihr, konnte sprechen.
„Geliebter Ahnherr“, sagte ich, „gib mir ein Gebot!“ Er lächelte, legte seine Hand auf meinen Kopf, sie war keine Hand, sie war ein vielfarbiges Feuer, bis in die Wurzeln meines Gehirns ergoss sich die Flamme.
„Gelange dahin, wohin du kannst, mein Sohn!“ Seine Stimme war tief, dunkel, als käme sie aus der Tiefe der Erde. Sie drang bis in die Wurzeln meines Verstandes, aber mein Herz erwärmte sich nicht. „Ahnherr“, sagte ich wieder, „gib mir ein Gebot, noch schwieriger, noch kretischer!“ Und auf einmal, als ich es kaum ausgesprochen hatte, fuhr eine Flamme in die Luft, der unbezwingbare Ahnherr mit dem von Thymianwurzeln durchflochtenen Haar verschwand aus meinen Augen, und es blieb auf dem Gipfel des Sinai eine aufrechte Stimme, voll starken Befehls, und die Luft zitterte. „Gelange dahin, wohin du nicht kannst!“

Im Ersten Weltkrieg lernte ich auf Athos den 13 Jahre älteren Arbeiter Georgios kennengelernt. Sein freier Charakter beeindruckte mich tief. Im Frühjahr 1915 bat ich ihn, die Stelle des Vorarbeiter in meinem Braunkohlebergwerk anzunehmen in dem kleinen Dorf Prastova auf der Mani-Halbinsel im Süden der Peloponnes. Nach dem Einsturz mehrerer Stollen gab ich das Projekt ein Jahr später auf, Georgios und ich reisten dann in den Kaukasus.

Georgios ging dann nach Serbien, heiratete, bekam Kinder, betrieb ein Magnesit-Bergwerk. Er starb 1942.
Ich musste meinem Freund Georgios Sorbas ein literarisches Denkmal setzen.

Der Schlüssel zum Werk von Nikos Kazantzakis liegt in seinem Leben. Geboren 1883 in Iraklion, zur Zeit der türkischen Besetzung Kretas. In seiner Kindheit erlebt er die Wirren der Zeit besonders dramatisch. 1898 kommt Kreta vom Osmanischen Reich frei, bleibt aber unter der Verwaltung der Großmächte des Mittelmeerraums.

Nach seiner Rückkehr aus Parsis organisiert er als Beauftragter des Gesundheitsministeriums nach der „kleinasiatischen Katastrophe“ des griechisches Einmarsches in die Türkei bis 1920 den Bevölkerungstransfer der Griechen aus dem Kaukasus.Er erlebt Unmenschliches. Dann geht Kazantzakis auf Reisen. Wien, Berlin, Moskau - er sympathisiert mit dem Kommunismus. Nach dem Rückzug der Deutschen untersucht er im Auftrag der Regierung die deutschen Kriegsverbrechen, ist kurz Minister, wird Präsident der Gesellschaft der Griechischen Literaten.

1946 veröffentlicht er „Alexis Sorbas“ und erfährt weltweite Anerkennung, 1948 geht er nach Antibes, wo er „Die letzte Versuchung“, „Freiheit oder Tod“, „Griechische Passion“ und seine Autobiographie „Rechenschaft vor El Greco“ verfasst. Umstritten seine Deutung als Atheist oder Nihilist. Nikos Kazantzakis stirbt 1957, auf einem Auge fast erblindet, herzkrank und von der asiatischen Grippe geschwächt, in Freiburg im Breisgau. Die Kirche verweigert ihm auf Kreta ein christliches Begräbnis.

Auf seiner Grabplatte bei Iraklion steht geschrieben:

Ich erhoffe nichts, ich fürchte nichts, ich bin frei.

Zitat: Niemanden kann man so leicht täuschen wie sich selbst.



Den Film drehte Regisseur Cacoyannis 1964 in Kókkino Chorió auf Kreta mit den Dorfbewohnern.